Rezension

Wendezeit

Stern 111 - Lutz Seiler

Stern 111
von Lutz Seiler

Bewertet mit 3 Sternen

Lutz Seilers neuer Roman „Stern 111“ hat mich nicht überzeugt. Er hat mich beim Lesen immer mehr gelangweilt, und ich befürchte, dass das sogar so beabsichtigt ist. Schließlich endet der Roman mit der kläglichen Selbsterkenntnis des Erzählers: „er war jetzt Mitte zwanzig, und er war nichts.“

Der Roman spielt in der Wendezeit. Eine Zeit, in der alles möglich und nichts unmöglich schien. Für die Hauptfigur Carl eine Zeit der Selbstfindung. Für den Leser eine Zeit der Langeweile. Nichts passiert. Carl probiert sich aus. Will Schriftsteller werden. Vielleicht. Aber gleichzeitig lebt er dahin. In den Tag hinein. Von Gera aus, wo er das Haus seiner Eltern behüten soll, die in den Westen gegangen sind, um ihr Glück zu machen, bricht Carl nach Berlin auf, um sein Glück zu suchen. Ein Glücksritter allerdings ohne jedwede Ambitionen. Einer, der sich treiben lässt.

Er übernachtet zunächst im Auto, verdient sich etwas Geld, indem er schwarz Taxi fährt. Schließlich landet er in der Hausbesetzerszene,  wo er versumpft. Was er allerdings nicht bemerkt, denn er scheint sich frei und unabhängig zu fühlen.

Als Leser tut man es recht bald den Eltern nach und verlässt den Protagonisten, lässt ihn mit seinem Schicksal allein. Hat er das Zeug zum Schriftsteller? Keine Ahnung. Hat er den Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen? Ach, wer weiß. Ist er glücklich? Hmm, vielleicht. Irgendwie. Meistens eher nicht. Sind seine Gedichte überhaupt gut? Keine Ahnung. Wird das was mit ihm und Effi, die er wiedergetroffen hat? Es interessiert mich nicht. Ja, als Leser wird man bald ganz abgekühlt gegenüber dem Schicksal von Carl.

Umso mehr will man wissen, wie es mit seinen Eltern weitergeht. In Briefen informiert die Mutter ihren Sohn über ihre ersten Schritte im Westen. Diesen Briefen fiebert man entgegen, um der Langeweile von Carls Leben zu entgehen. Die Eltern, so scheint es, nehmen ihr Leben selbst in die Hand, beginnen ein neues Leben. Ein Aufbruch, den Carl ihnen zutiefst verübelt, er dichtet seinen Eltern sogar ein zweites, paralleles Leben an, von dem er nichts gewusst habe. Sie hätten ihn, den über 20-Jährigen, verlassen, wirft er ihnen vor.

Eine Ziege ist es schließlich, die Carl sagen muss, dass die „wilden Zeiten“ vorbei sind. Ach, wären sie doch nur wild gewesen! Ach, wäre es doch nun wirklich Carls Verhängnis gewesen, Gedichte zu schreiben, wie es auf einer der letzten Seiten des Buches heißt! Stattdessen ist Carl nichts weiter als „faulendes Treibholz“, das ohne Richtung in den Straßen von Berlin vor sich hin treibt.