Rezension

Wenig gelungene Alternate History

NSA - Nationales Sicherheits-Amt - Andreas Eschbach

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
von Andreas Eschbach

Bewertet mit 1.5 Sternen

Was wäre wenn Charles Babagge im 19. Jahrhundert seine Analytical Engine zu Ende entwickelt hätte und sich schon damals daraus der Computer, das Internet und alles damit Verbundene entwickelt hätte? Dann hätten die Nazis im Dritten Reich womöglich eine ganz andere Möglichkeit der Überwachung gehabt und sich die Geschichte ein bisschen anders entwickelt.

Wie das hätte aussehen können, versucht Andreas Eschbach in diesem Roman zu erzählen. Er hat dafür die einschlägigen Worte eingedeutscht, der Computer wird zum Komputer, das Internet ist das Weltnetz und das Passwort heißt Parole, aber im Grunde ist es mit dem, was wir heute kennen, identisch. Nicht identisch ist das Drumherum, so ist Programmieren ausschließlich Frauensache, da es dem Kochen und dem Stricken ähnele und daher den Frauen besonders liege, Programmieren wird daher auch Stricken genannt und die Programmiererinnen sind Strickerinnen. DAS Lehrbuch dazu ist dem weiblichen Wesen gemäß in rosa und mit Blümchen gestaltet. Männer dagegen können ihrem Wesen nach am besten analysieren, haben aber keine Ahnung, wie ein Programm funktioniert – nun ja. Da mittlerweile auch das Bargeld abgeschafft wurde, gibt es eine nahezu nahtlose Überwachung und das Nationale Sicherheitsamt (NSA!), schon im Kaiserreich existent, zeigt seinen Nutzen nun dadurch, dass es versucht, aus den Daten bestimmte Erkenntnisse zu ziehen, die dem Reich nutzen, z. B., indem es versucht Untergetauchte (Juden, Deserteure) zu lokalisieren,

Beide Protagonisten des Romans arbeiten für das NSA, und nutzen das im Laufe des Romans auch für ihre eigenen Zwecke. Helene Bodenkamp ist eine der Strickerinnen des Amtes, wahrscheinlich sogar die beste von ihnen. Daneben ist Helene eher schüchtern, wenig selbstbewusst, und in ihren Augen so wenig attraktiv, dass sie wohl nie einen Mann finden wird, besonders, da es durch den Krieg ja immer weniger gibt – sie ist als ein graues und nebenbei naives Mäuschen, das aber brillante Programme stricken kann. Mehr muss man über sie nicht wissen, außer, dass ihr Elternhaus schon sehr früh nationalsozialistisch geprägt war, und ihre Eltern sie baldmöglichst verkuppeln wollen, damit sie ihre Pflicht als Frau erfüllen kann. Was ihre Eltern nicht wissen: Eigentlich hat sie im Laufe des Romans bereits jemanden gefunden, der sie liebt, aber leider nicht gesellschaftsfähig ist, er musste nämlich untertauchen. Für ihn nutzt Helene auch ihr Wissen bei ihrer Arbeit im NSA. Dass sie mit ihrer Arbeit vielen Menschen schadet, reflektiert sie kaum.

Ganz anders Eugen Lettke, einziger Sohn eines gefallenen Kriegshelden, seinen Vater lernte er nie kennen, wohnt noch bei seiner Mutter, die ihn nervt, und hat ein sehr schwieriges Verhältnis zu Frauen. Das rührt u. a. daher, dass ihn ein paar in seiner Jugend sehr gedemütigt haben. Neben seiner Rache an diesen jungen Frauen, übt er auch Rache an den Frauen an sich, wozu er im Netz schädliche Informationen sucht, mit denen er Frauen erpressen und nötigen kann, was ihm nur auf Grund seiner Arbeit beim NSA möglich ist.

Beide Charaktere werden eher oberflächlich gezeichnet und wirken wie Klischees, hier naiv, dort abgrundtief böse. Auch für Helene konnte ich keine positive Gefühle entwickeln, als ein potentieller Ehekandidat sie nur wegen seiner körperlichen Beeinträchtigungen anekelt, verlor sie meine Sympathie endgültig. Auch viele der anderen Charaktere sind reine Klischees, Sympathie konnte ich nur für wenige entwickeln, eigentlich nur für Helenes Freundin Marie und deren Mann Otto, die für mich am ehesten die Helden in dieser Geschichte sind.

Der Roman basiert im Grunde auf den Lebensgeschichten der beiden Protagonisten, so dass wir viele Seiten lang ihre Geschichte von Kindheit an lesen „müssen“. Die parallele deutsche Geschichte ist bis zur Machtergreifung der Nazis im Wesentlichen dem tatsächlichen Verlauf ähnlich, nur der Krieg endete bereits 1917. Später gibt es etwas mehr Unterschiede, wobei hier auch historische Ereignisse einbezogen werden. Ist Anne Franks Schicksal noch fast identisch, gibt es bei der Weißen Rose oder Georg Elser deutliche Unterschiede, die der Arbeit des NSA zugesprochen werden. Auch die Verpflegung der Bevölkerung z. B. ist besser aufgestellt – allerdings treten politische und soziale Entwicklungen hinter die Geschichte Helenes und Eugens zurück. Warum der Autor seinen Roman ausgerechnet auf diesen beiden aufbaut, ist mir ein Rätsel, man hätte sicher interessantere und authentischere Charaktere entwickeln können, die den Roman insgesamt glaubhafter gemacht hätten.

Das Ende wirkt auf mich teilweise wie ein schlechter Scherz, vor allem was die Geschichte der beiden Protagonisten angeht, die Geschichte des Dritten Reiches dagegen passt durchaus zur Entwicklung, wie sie dargestellt wird.

Was soll ich sagen, den interessanten und tiefgehenden Roman, der eine gelungene Alternate History erzählt, den ich erwartet habe, habe ich leider nicht bekommen. Spannung entstand für mich lediglich in der Frage, ob Marie und Otto das Ganze unbeschadet überstehen. Der Roman hätte deutlich gestrafft werden können, vieles wiederholt sich. Dass Anne Franks Schicksal, zudem schon so früh im Roman, ausgeschlachtet wurde, hat mich ein wenig entsetzt. Sollte der Roman einen Anteil zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte beitragen oder gar aktuelle Gesellschaftskritik sein, wurde das Thema weit verfehlt, schade, man hätte so viel daraus machen können. So ist es nur ein nicht besonders gute Geschichte mit schlecht ausgearbeiteten Charakteren, auf die man getrost verzichten kann. Ich kann den Roman leider nicht weiterempfehlen.