Rezension

Wenig Handlung, viel Gefühl

Der Wald - Nell Leyshon

Der Wald
von Nell Leyshon

Bewertet mit 4 Sternen

Fasziniert hat mich an diesem Roman vor allem der Stil. Besonders der kleine Pawel, dessen Gedanken ziemlich authentisch wirken, hat eine lebendige Fantasie. Er fühlt alles Erlebte äußerst intensiv, was sich hervorragend in der poetischen Sprache widerspiegelt. Hier hat die Autorin wirklich Schönes geschrieben.

 

Die Geschichte gliedert sich in drei ziemlich unterschiedliche Phasen:

Zunächst erzählt die Autorin von dem Leben von Pawels Familie in Polen während des Zweiten Weltkriegs. Die Angst des Jungen, der Verlust der Angestellten, die ständig ins Haus eindringenden Kriegsgeräusche oder die Nahrungsmittelknappheit: Das wirkt oftmals eindringlich und äußerst packend. Viele Details lassen die Szenen lebendig werden. Gleichzeitig hätte dieser Teil von mir aus ruhig etwas gekürzt werden können. Die Handlung bewegt sich nur schleppend vorwärts, da vor allem Pawel das Haus natürlich selten verlassen darf. So lässt sich für den Jungen (und damit auch für den Leser) nur erahnen, was draußen gerade passiert.

Im zweiten Teil haben sich Pawel und seine Mutter Zofia vor den Nazis in einer Scheune im Wald versteckt. Sie bestechen die Besitzerin Baba, um hier mehr schlecht als recht versteckt leben zu können. Der Abstieg von der wohlsituierten Familie mit Angestellten zu einem Leben mit dem absolut Nötigsten beeinflusst auch die Mutter-Sohn-Beziehung sehr. Einerseits sind sich beide durch das fehlende Kindermädchen näher. Gleichzeitig weiß gerade die Mutter oft nicht richtig mit der Nähe umzugehen. Pawel wendet sich daher verstärkt Baba zu, die ihm vom Farbenmischen bis zum Gemüseanbau viel beibringt.

Im dritten Teil begegnen wir nun dem erwachsenen Pawel, der sich in seiner neuen Heimat England Paul nennt. Hierher ist er mit Zofia, jetzt Sofia, geflohen. Durch den riesigen Zeitsprung wirkt der letzte Teil beinahe wie ein neues Buch. Nach und nach wird jedoch bemerkbar, wie die Kriegserlebnisse die beiden Protagonisten auch Jahrzehnte später noch beeinflussen. Vor allem Babas Einfluss merkt man Pauls Lebensgeschichte an.

Da die Handlung eher dünn ist, spielt sich vieles in den Köpfen der Charaktere ab. Die Autorin gibt vor allem Pawel/Paul ein reiches Innenleben. Manchmal hätte ich mir trotzdem ein bisschen mehr Handlung gewünscht, aber im Großen und Ganzen hat mich der Roman sehr bewegt.