Rezension

Wenig Tiefe, aber recht viel Spannung

Die Erbin
von Simona Ahrnstedt

Bewertet mit 3 Sternen

"Die Erbin" handelt von der jungen Schwedin Natalia de la Grip, die alles dafür gibt in das erfolgreiche Unternehmen ihres Vaters einsteigen zu dürfen. In einem anderen Unternehmen hat sie sich bereits den Ruf einer erfolgreichen Unternehmensberaterin erarbeiten können und damit bewiesen, dass sie sich alles hart erarbeitet hat. Umso skeptischer ist sie, als der erfolgreiche Risikokapitalgeber David Hammar um ein Mittagessen bittet. Sie ist von seinem Charme sofort gefangen, aber sie weiß auch, welchen Ruf er genießt. Und Natalia tut gut daran rückhaltend zu bleiben, denn sie ahnt nicht, dass David eine Übernahme ihres Familienunternehmens plant, das alles verändern wird.

Den Anfang fand ich sehr gut. Man wird in die gehobene schwedische Gesellschaft eingeführt, man wird in die Finanzwelt eingeführt (übrigens so, dass sogar ich als absoluter Dummie etwas verstehen konnte) und man lernt Natalia und David im Wechselspiel ihrer Perspektiven kennen. Doch je mehr die Seitenzahl voran schreitet, desto mehr tun sich in meinen Augen die Schwächen dieses Romans hervor.

Zunächst sehe ich es mehr als skeptisch, dass urplötzlich die Perspektiven anderer Figuren eingeführt werden. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, aber ich erkenne doch gerne ein System dahinter. Durch die Willkür und die total unterschiedliche Länge dieser Figurenausflüge wurde das ganze etwas anstrengend. Zumal diese Figuren doch alle wenig sympathisch waren. Man merkte zwar sogleich, dass alle ihr Päckchen zu tragen haben, aber dadurch, dass die Perspektiven im Vergleich zu Davids und Natalias sehr gering ausfielen, konnte man dies alles nicht ergründen. dadurch entstand leider überhaupt keine Nähe zu diesen Figuren und damit auch kein Mitfiebern mit ihnen.

Apropos Nähe: die ging mir auch relativ schnell bei Natalia und David abhanden. Zunächst haben wir einen Mann, der eine graue Maus sieht und ehe man sich versieht, ist sie attraktivste Frau, die er je gesehen hat und wir sind an einem Punkt, wo ich als Leserin nicht mehr nachvollziehen konnte, wie wir hier eigentlich gelandet sind. In diesem ersten Teil hat mir die psyschologische Tiefe gefehlt. Alles ging plötzlich zu schnell, es gab kaum Begründungen, es gab irgendwie nur das Hier und Jetzt, das rasant vorwärts getrieben wurde.

Die Rasanz der Erzählung war es dann auch, die mich bei der Stange halten konnte. Angesichts von 600 Seiten war ich doch etwas skeptisch, wie ich das durchalten soll, aber die Handlung stand nie still, es passierte immer Neues (vermutlich wegen der fehlenden Tiefe) und dadurch lasen sich die Seiten wie von selbst. Doch knapp hinter der Mitte trat dann doch noch eine Wendung zum bessern ein. Es kam unglaubliche Spannung auf. Bereits im ersten Teil waren einige mysteriöse Dinge angedeutet worden und im zweiten Teil merkte man nun, dass es an die Auflösung ging. Das Erzähltempo zog nochmal an und offenbarte noch einige Überraschungen (manche mehr, manche weniger durchschaubar). Sogar die Tiefe kam mehr und mehr zum Vorschein. Vermutlich erst da, lernte man die "wirklichen" Natalia und David kennen. In ihrer Trennung wurden sie so verletztlich und doch aufopferungsvoll kämpfend gestaltet, dass man sich bei ihnen einfinden konnte, dass man schließlich doch mitfiebernder Leser werden konnte. Und doch war ich froh, als ich mich von der doch sehr versnobten und nicht wirklich modernen schwedischen Oberschicht verabschieden konnte.

Fazit: "Die Erbin" bietet viel Handlung auf den 600 Seiten. Aber dementsprechend auch wenig Raum in die Tiefe zu gehen und die Figuren wirklich kennen zu lernen. Das wäre wirklich gut gewesen, weil die schwedische Oberschicht nicht unbedingt das sympathischste Pack an Menschen bereit hält. Aber all das bessert sich in der zweiten Hälfte. Auf Grund der Spannung, die ebenfalls noch entsteht, und dieser Verbesserung kann man mit "Die Erbin" letztlich versöhnlich auseinander gehen.