Rezension

Weniger ist manchmal mehr...

Der Sommer der Pinguine - Thomas Montasser

Der Sommer der Pinguine
von Thomas Montasser

Bewertet mit 2 Sternen

„Die meisten Menschen sehen nur, was sie erwarten. Aber die Welt ist doch viel mehr als nur das Erwartbare, nicht wahr?“ (s. 21)

Mrs. Annetta Robington besitzt ihn, diesen Blick für das Unerwartete. Als sie an einem heißen Sommernachmittag auf dem Weg nach Hause im Londoner Stadtteil Mayfair an einer einladenden, kleinen Buchhandlung vorbeikommt, kann sie nicht widerstehen – sie tritt ein und traut ihren Augen kaum: Der Buchhändler, ein freundlicher, älterer Herr ist in Wirklichkeit ein Pinguin und sie, Annetta Robington, ist damit Mitwisserin des großen, streng gehüteten Geheimnisses, dass Pinguine schon sehr lange gut getarnt und zivilisiert mitten unter den Menschen leben. Als ein Stapel Briefe eines berühmten Polarforschers auftauchen, die das Geheimnis der Pinguine gefährden könnten, gerät das ruhige Leben der Kleinstadt-Bibliothekarin Mrs. Robington gehörig aus den Fugen...

Wie verzaubert las ich letzten Herbst den Roman „Pawlowa“ von Brian Sewell - ebenfalls erschienen im Insel-Verlag - und war ganz hingerissen von der darin beschriebenen Freundschaft zwischen Mensch und Esel. Dementsprechend hohe Erwartungen stellte ich nun an die Lektüre des vorliegenden Romans; erhoffte ich mir doch auch hier eine ebenso märchenhafte Geschichte wie die von Pawlowa.

Das Büchlein beginnt sehr vielversprechend, denn Mrs. Robingtons Liebe zu Büchern und gut sortierten Buchhandlungen, das gemütliche Flanieren durch die Straßen und Gässchen Londons und das Geheimnis der Pinguine konnten mich zügig für die Geschichte einnehmen. Besonderes Lob gilt außerdem den wirklich zauberhaften Illustrationen von Isabel Pin, die als einfache Schwarz-Weiß-Bleistift-Zeichnungen Situationen und Personen gekonnt einfangen und die Geschichte dadurch abrunden. Auch die passend eingewobenen Abhandlungen zum Homo sapiens aus dem Blickwinkel der Pinguine sorgten für Erheiterung und den ein oder anderen nachdenklich-philosophischen Gedankenanstoß.

"Der Mensch ist das Übel der Erde. Er frisst stets mehr, als er für sein Überleben braucht, er zerstört, was ihm in die Hände fällt, und er bedenkt nicht das Morgen. Keine andere Art ist von vergleichbarer Kurzsichtigkeit..." (S. 22)

Doch trotz des gelungenen Einstiegs konnten meine Erwartungen leider nicht erfüllt werden, denn spätestens ab der Hälfte des Buches wird der Roman mit einer Menge Pinguinen, exzentrischen Persönlichkeiten, skurrilen Ideen und etwas wirren Handlungssträngen überfrachtet. Da wären eine geheime Pinguin-Gesellschaft, eine Nacht im Hotelzimmer mit einem berühmten Dirigenten, ein Dorfkirchen-Chor, der mehr schlecht als recht singen kann, eine Horde Nonnen und eine alte, neue Liebe, die mit einem Schlag auf den Kopf zum Leben erweckt wird... Obwohl die Geschichte insgesamt gesehen nachvollziehbar bleibt, konnte ich bei vielen Wendungen nur noch den Kopf schütteln. Auf mich wirkte der Roman zu gewollt, zu konstruiert, oft sehr unglaubwürdig und letzten Endes auch leider viel zu kitschig. Was märchenhaft wirken und Spannung aufbauen soll, erdrückt leider die eigentlich interessante Grundidee. Hier wäre Weniger eindeutig Mehr gewesen!

Fazit

Große Erwartungen treffen auf überfrachtete Handlung. Leider konnte mich die Geschichte rund um Mrs. Robington und die Pinguine nicht bis zum Ende mitnehmen. Ich vergebe zwei von fünf Sternen für die wirklich gelungenen Illustrationen, die solide Grundidee und die philosophischen Gedankenanregungen. Schade, dass die Umsetzung für mich weit hinter der Idee zurückbleibt.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 24. Juni 2018 um 13:03

Ein sehr schönes Fazit, Likey!

LySch kommentierte am 24. Juni 2018 um 13:47

Danke ♡

Brocéliande kommentierte am 30. Juni 2018 um 21:17

Ich fand es sehr schade, dass du diesen Roman mit Pawlowa vergleichst - ich kenne Pawlowa auch und der hat mir mindestens so gut gefallen wie dieser von Thomas Montasser.

Meine Wertung wird sehr viel positiver ausfallen, da ich nicht nur die (geniale) Grundidee gut fand und zudem sehr amüsant zu lesen (obgleich einem das Lachen nicht ohne Grund auch im Halse stecken bleiben kann), sondern auch brillant umgesetzt. Daher kann ich deiner Rezi überhaupt nicht zustimmen.

LySch kommentierte am 30. Juni 2018 um 23:03

Musst du ja auch nicht - ein Hoch auf die Meinungsfreiheit und auf verschiedene Geschmäcker! ;)