Rezension

Wenn alles Beten zum Heiligen Expeditus nichts hilft

Dringliche Angelegenheiten -

Dringliche Angelegenheiten
von Paula Rodríguez

Hugo liegt verletzt in einem entgleisten Zug. Könnte er doch nur die Identität eines der toten Passagiere annehmen, er wäre auf einen Schlag um ein paar Probleme ärmer. Doch er wird gerettet. Bald ist halb Buenos Aires hinter ihm her. Leichte Lesekost, zähe Typen, knackig beschrieben. Da dieser Roman fast ein Krimi ist, aber doch nicht ganz in dieses Genre passt, wäre es wohl jemandem zu empfehlen, der auch gerne Alternativen zu den üblichen Kommissar-Täter-Lösung-Stories liest.

Dringliche Angelegenheiten, ist der Roman betitelt, den die argentinische Autorin Paula Rodríguez geschrieben hat. Die Geschichte spielt in Buenos Aires und beginnt fulminant mit einem Zugunglück. Hugo überlebt, allerdings hat er keine Zeit, seine Verletzungen im Spital behandeln zu lassen: Er wird wegen Mordes gesucht und muss von der Bildfläche verschwinden. Es gibt einige Leute, die es gar nicht so ungern sähen, wenn Hugo tot wäre. Allen voran seine Schwiegermutter Olga. Die fromme Schwägerin Mónica wäre über ein Ableben Hugos auch nicht besonders traurig. Hugo merkt: Untertauchen ist gar nicht so einfach, wenn einem das Fernsehen, die Polizei und ein paar Gangster auf den Fersen sind. 

Die Pluspunkte dieser rasanten Geschichte: eine direkte, schlichte Sprache, die den illusionslosen Figuren und dem Setting gerecht wird, jede Menge Situationskomik, viel Tempo und Menschlich-Allzumenschliches. Dieses wirkt durch die Banalität, in der es beschrieben wird, nur noch krasser und schräger. 

Am Ende des Buches war ich dann doch etwas verwirrt. Was will mir ein Roman sagen, in welchem alle darin vorkommenden Figuren Dreck am Stecken haben? In welchem jeder ohne Gewissensbisse, fast schon etwas naiv, seinen grösseren oder kleineren Gaunereien nachgeht, so dass man ihn schon fast liebenswert findet? In welchem selbst der Schutzheilige für dringliche Angelegenheiten im allerdringendsten Notfall nur sanft herumschwebt, um sich dann oben auf einen Haufen Verletzter und Toter zu legen. Was sollte er auch anderes tun, in einem Land, wo die allerfrömmste Frau unter ihrem Bett eine Schachtel mit den allerneuesten Sextoys liegen hat und gewöhnliche ältere Nachbarinnen ungewöhnlichen Machenschaften nachgehen. 

Dringliche Angelegenheiten ist eine unterhaltsame Lektüre mit südamerikanischem Lokalkolorit. Es sind kleine Leute, die in diesem Buch die Hauptrolle spielen, Menschen, die sich irgendwie durchs Leben schlagen, das sich wie eine Achterbahn anfühlt. Oder wie es die Hauptfigur Hugo gegen Ende der Geschichte sagt: 

Mit dem ersten Absturz geht’s los. Bloss auf den kommt’s an. Danach geht es nur noch abwärts, auch wenn du meinst, es geht nach oben. Aber in Wirklichkeit stürzt du schon die ganze Zeit ab, von Anfang an…»

Titel: Dringliche Angelegenheiten, Roman, 213 Seiten, gebunden

Autor: Paula Rodríguez, aus dem Spanischen von Peter Kultzen

Verlag:  Unionsverlag, 2023 

ISBN 978-3-293-00600-3, SFr. 32.-/ 24.– €