Rezension

Wenn das Überwachungssystem aus dem Ruder gerät ...

Exodus 2727 - Die letzte Arche - Thariot

Exodus 2727 - Die letzte Arche
von Thariot

Bewertet mit 3.5 Sternen

Im Jahr 2720 starten kurz nacheinander die interstellaren Siedlungsschiffe USS London und USS Boston. Ihr Ziel liegt 50 Lichtjahre entfernt, die geplante Reisezeit beträgt 109 Jahre. Die Mission der USS London: sie soll als Arche Noah der Zukunft 3 Millionen Embryonen in Sicherheit bringen. Die Mannschaft wird bis zu ihrem jeweiligen 12-Jahres-Einsatz in Kälteschlaf versetzt, so dass die einzelnen Personen in dieser (gestauchten) Zeit nicht altern. An Bord sind u. a. die Ärztin Dr Jazmin Harper und der Techniker Denis Jagberg. Denis würde die Anforderungen für den Dienst nicht erfüllen, er kommt allein auf dem Familienticket als Begleiter seiner Frau Sue mit an Bord. In einer überraschenden Krisensituation fallen Kommandant und Erster Offizier aus und Jazmin muss das Kommando übernehmen. Die zusätzliche Herausforderung kommt ungelegen; denn Jazmin beobachtet sonderbare Verhaltensänderungen der Besatzung, die sie an neurologische Veränderungen denken lassen. Währenddessen ist Denis, frisch aus dem Kälteschlaf erwacht, mithilfe seiner Reparaturdrohnen der Instandhaltungsroutine nachgegangen. Auch Denis fallen sonderbare Vorgänge auf, die ihn an der Funktion der KI „Mutter“ zweifeln lassen. Auch wenn Dennis die „Mutter“ über alle Daten und Konstruktionszeichnungen etwas zu sehr vermenschlicht und sich etwas zu stark von ihr provozieren lässt, hat er ein ernstes Problem entdeckt.

Kurz vor dem Abflug der Boston ist auf der Erde ein Pressetermin mit Duncan Harper geplant, dem Entwickler der KI für beide Raumschiffe. Duncan ist mittlerweile über 100 Jahre alt und so oft optimiert und operiert worden, dass unklar bleibt, ob er noch menschlich ist. Die London gerät derweil vom Kurs ab und steuert direkt auf ein Schwarzes Loch zu - wie sollte es auch anders sein. Reichlich spät versuchen die wenigen Überlebenden dahinter zu kommen, wer die KI an Bord sabotiert hat - und zu wessen Nutzen.

Im Jahr 2727 hat sich die Menschheit offenbar weder sprachlich noch in ihrem Bewusstsein weiterentwickelt. Die Figuren verhalten sich wie Menschen aus diesem Jahrzehnt und ihre Vorstellung von selbst lernenden sprachgesteuerten Systemen scheint mir leicht hinter dem derzeitigen Wissensstand zurückzubleiben. Das mag daran liegen, dass Denis als Techniker im Auswahlverfahren nicht gerade eine Perle seiner Zunft war. Er vermenschlicht „Mutter“, schreibt ihr Gefühle zu und reagiert reichlich emotional auf ein menschengemachtes System. Science Fiction scheint generell (nicht nur in diesem Roman) ein Problem mit der Figurenzeichnung zu haben. Sind die Menschen einmal an Bord, verlieren ihre Schöpfer offenbar das Interesse an ihnen und behaupten von nun an sehr viel, das sie den Lesern jedoch nicht zeigen. Denis, Jazmin und den vom Kriminalpolizisten zum Londoner Pressesprecher aufgestiegenen Atticus Finch Harper fand ich als Personen gleichermaßen flach. Allein, dass Männer dem Objekt ihrer Begierde auf „die attraktiven Rundungen" starrten und Frauen jemanden suchten "mit dem sie alt werden können" schien die Figuren zu unterscheiden. Alle anderen Personen wurden so rechtzeitig abgemurkst, dass sie wohl keine weitere Charakterisierung wert waren. Die Handlung erfordert, dass die Leser über einige Fakten möglichst lange im Unklaren gelassen werden, das ging bei mir leider zu Lasten der Spannung. Je mehr Details, desto besser meine Konzentration und umso besser funktioniert der Plot.

Mit flotten Dialogen und filmischen Effekten zeigt sich Exodus 2727 sprachlich als Fast Food mit der Tendenz psychische Störungen unangebracht lässig darzustellen. Das durchaus ernste Thema, wie Menschen reagieren, wenn ein für totsicher gehaltenes Kontrollsystem ausfällt, wurde m. A. zu wenig ausgeschöpft. Die Erklärung für das Desaster an Bord und den rasanten Schluss finde ich zwar gelungen, der wenig souveräne Umgang der Figuren mit ihrer vermenschlichten Bord-KI hat mein Lesevergnügen allerdings getrübt.