Rezension

Wenn die Liebe zur Literatur zur Besessenheit wird

Finderlohn
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

1978 wird der mittlerweile zurückgezogen lebende Schriftsteller John Rothstein in seinem Anwesen ermordet. Für die Polizei steht der Tatbestand fest: Raubmord, denn zahlreiche Notizbücher, die unveröffentlichtes Material Rothsteins beinhalten, sowie Bargeld sind seither aus dem Safe verschwunden. Der Mörder Morris Bellamy kann untertauchen und sein Diebesgut verstecken, wird aber kurze Zeit später wegen eines anderen Deliktes verhaftet und zu Lebenslänglich verurteilt.
31 Jahre später findet der junge Peter Saubers durch Zufall den von Bellamy versteckten Koffer mit dem Geld und den Notizbüchern. Die Familie Saubers befindet sich derzeit in einer finanziellen Notlage, die ihren Ursprung in der Rezession und dem Anschlag des Mercedes-Killers, bei dem Peters Vater schwer verletzt wurde und seither unter den gesundheitlichen Folgen leidet, hat. Diese Belastung zerrütet mehr und mehr auch das Familienleben und so kommt Peter auf die Idee, seinen Eltern anonym monatlich Geld aus dem Koffer zu senden. Die Notizbücher studiert er nach und nach, seine Liebe zur Literatur wird durch sie weiter befeuert und als das Geld zur Neige geht, macht Peter einen entscheidenen Fehler, indem er versucht einen Teil der Bücher zu verkaufen. Doch es ist nicht die Polizei, die ihm auf die Schliche kommt, sondern Bellamy, der mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen wurde und nur ein Ziel hat: Den Koffer wieder in Besitz zu nehmen.

Leseeindruck

Vorab-Information zur Bill Hodges-Trilogie:
1.) Mr. Mercedes (Heyne Verlag, 2014)
2.) Finderlohn (Heyne Verlag, 2015)
3.) ?

Ein King bleibt ein King, bleibt ein King - so auch hier. Der Schreibstil, die Liebe zu seinen Figuren und in diesem Buch auch zur Literatur selbst fesseln und begeistern immer wieder aufs Neue.
Zu Beginn wird die Geschichte mittels zwei Handlungssträngen erzählt, dem aus dem Jahr 1978 und dem aus 2009/10. Sie wechseln sich ab und münden schließlich dann im Jahr 2014, wo die zwei Geschichten zu einer verschmelzen. Dieser erste Teil hat mir sehr gut gefallen, wurde hier das Augenmerk auf die Entwicklung des Protagonist Peter und des Antagonist Morris gelegt. Nicht nur der Koffer mit dem Diebesgut, sondern auch das Haus, in dem die Familie Saubers wohnt, stellen eine Verbindung dieser beiden Figuren dar. Denn wie es der Zufall will, lebte einst Morris in diesem Haus. Doch nicht nur das eint die beiden Charaktere, es ist die Liebe zur Literatur und der Fanatismus zur "Jimmy Gold"-Trilogie Rothsteins, die sie einander ähnlicher als zunächst gedacht erscheinen lässt.
Doch während Morris Leidenschaft krankhafte Züge annimmt und die erzählten Geschichten Jimmy Golds für ihn mehr Wert und Realität besitzen als der Autor und sogar dessen Leben, zieht Peter diese Grenze sehr wohl. Morris mordet zunächst, weil ihm die Entwicklung der Figur Jimmy Gold missfällt und er sich dadurch nicht mehr mit ihr identifizieren kann, später mordet er, um die Fortsetzung der Geschichte lesen zu können - das ist sein einziger Lebenssinn. Peter ist ebenfalls fasziniert von der erdachten Figur, unterscheidet aber die geschaffene Fiktion von dem Autor, der sie erdacht hat und empfindet Verehrung für das Talent des Schöpfers der Geschichte. Der Unterschied bestimmt ihr Handeln und prägt ihr Denken, ihr Moralempfinden. Diesen schmalen Grat zwischen beiden hat King meisterhaft in "Finderlohn" thematisiert.

Bill Hodges, der Detective im Ruhestand aus "Mr. Mercedes", und seine Crew, bestehend aus Jerome und Holly, tauchen erst sehr spät in der Geschichte auf. Hodges betreibt mit Holly gemeinsam eine kleine Agentur, genannt "Finders Keepers" und durch einen Zufall erfahren sie von der Schwester Peters, dass dieser in Schwierigkeiten steckt. Nach und nach werden sie im zweiten Teil des Buches involviert, agieren aber mehr am Rande und bilden meines Erachtens lediglich das Bindeglied zum ersten Band der Trilogie.

Sehr gut gelungen ist King einmal mehr, seine Geschichte Stück für Stück mit viel Liebe zum Detail und den handelnden Personen aufzubauen. Der flüssige Schreibstil und die interessante Story entfalten Sogwirkung und lassen die Seiten nur so dahinfliegen. Bemerkenswert ist dabei wie beinahe beiläufig King Verbindungen zu "Mr. Mercedes" schafft, sei es durch Personen oder Orte und Ereignisse, die sich überschneiden.
Es gibt allerdings wiederholt auffällige Zufälle, die die Handlung zwar vorantreiben (King würde es wohl "Ka" nennen, denn "Ka ist ein Rad"), mir aber teilweise etwas zu sehr gewollt erschienen. Auch Hodges Team, das zwar großen Unterhaltungswert besitzt, ist meines Erachtens in dieser Geschichte etwas farblos und auch wenn es hart klingt "überflüssig". "Finderlohn" lebt definitiv von Peter Saubers und vor allem von Morris Bellamy.

So kann dieses Buch durchaus auch ohne Vorkenntnis von "Mr. Mercedes" gelesen werden und funktioniert als eigenständiges Buch sehr gut, dennoch gibt es einige feine Anspielungen und natürlich die Basis-Entwicklung der Figuren Hodges, Holly und Jerome, die dem Leser entgehen würden.
Es bleibt noch zu sagen, dass es ein paar Stellen im Buch gibt, die sich damit beschäftigen, was aus dem Serienkiller Brady Hartsfield geworden ist und diese Stellen sind großartig und deuten bereits auf den letzten Band der Trilogie hin. Man darf gespannt sein, wie King hier anknüpfen wird.

Fazit

"Finderlohn" ist eine spannende Geschichte, die durch ihre Figuren, der Liebe zur Literatur und deren mögliche Fehlleitung besticht. Es ist ein Roman mit Krimi-/Thrillerelementen, der in ruhigem Grundtempo erzählt wird aber zu keiner Zeit langweilig oder langatmig erscheint. Für mich ist der erste Band "Mr. Mercedes" zwar einen Tick besser aber ich finde auch, man kann diese beiden Bücher nicht miteinander vergleichen. Die Lektüre lohnt sich, vor allem für Menschen, die die Literatur lieben - und das tun wir doch alle, oder?

Kommentare

Naibenak kommentierte am 28. Oktober 2015 um 17:40

Wunderbare Rezi! :) Ich habe beide Teile bisher nicht gelesen, aber habe für mich entschieden, dass dies die nächsten Kings werden, die ich lesen will. Muss sie mir nur noch "organisieren" ;) Danke Dir!!!

yvy kommentierte am 28. Oktober 2015 um 19:50

Danke dir. Ich hoffe, die Bücher können dich dann ebenfalls begeistern. :)

Naibenak kommentierte am 15. September 2016 um 10:11

Hey yvy... gerade stöbere ich ein wenig in Rezensionen zu Finderlohn und da bin ich hierüber gestolpert ;-) Inzwischen lese ich also bereits dieses Buch, nachdem mich Mr.Mercedes sehr begeistert hat und auch jetzt bin ich wieder hin und weg. Ich freue mich auf jede freie Minute, um weiterlesen zu können! Einfach klasse! LiebeGrüße an dieser Stelle! :-)

yvy kommentierte am 15. September 2016 um 10:45

Hallo Bianca,

vielen Dank für deine lieben Grüße, die ich natürlich gern zurücksende. :)
Die Hodges-Trilogie ist wie ich finde wirklich interessant, da sie eher in die Krimirichtung tendiert und mit ruhigeren Tönen (Ausnahmen gibt es natürlich gelegentlich) überzeugt. Den dritten Teil habe ich noch nicht gelesen und bin gespannt wie King den Kreis schließen wird.
Dir noch ganz viel Spaß mit Band 2 und hier noch 2 weitere King-Lesetipps von mir, die dir ganz bestimmt auch gefallen würden:
"Die Verurteilten (Pin-Up)"
"Die Leiche (Stand by me)"

Beides Novellen aus "Frühling, Sommer, Herbst und Tod" und als ebooks sehr günstig zu haben.

UJac kommentierte am 29. Oktober 2015 um 00:20

Sehr gute Rezi, bin ganz Deiner Meinung! "Mr. Mercedes" fand ich noch spannender, dafür aber "Finderlohn" auf andere Art interessanter. Ich freu mich auch schon auf den dritten Teil!

Übrigens ist Deine Überschrift noch schöner als meine, trotz der Ähnlichkeit :-)

yvy kommentierte am 29. Oktober 2015 um 11:40

Ach Quatsch, die Aussage der Überschrift ist doch bei dir ebenso stimmig.

Ich freue mich auch auf Teil 3, überhaupt auf jedes neue Buch vom Meister.