Rezension

Wenn eine Autistin mit der Liebe rechnet ...

Kissing Lessons - Helen Hoang

Kissing Lessons
von Helen Hoang

Bewertet mit 4.5 Sternen

Worum geht's?

Stella ist Autistin und in ihrem Job als Ökonometrikerin unschlagbar. In einem anderen Bereich ihres Lebens dagegen läuft es katastrophal: mit anderen Menschen. Dementsprechend hat sie auch noch nie eine richtige Beziehung gehabt. Doch Stella ist schließlich alles andere als auf den Kopf gefallen und hat schon eine Lösung parat – einen Übungsfreund!
Michael hat seine Träume an den Nagel gehängt, um für seine Familie da zu sein, und arbeitet ohne deren Wissen als Escort. Nur so kann er schnell genug das nötige Geld auftreiben, um seiner Mutter zu helfen. Als seine neue Kundin Stella ihm eröffnet, dass sie ihn für eine als Probefreund engagieren will, kann er es kaum glauben. Wer muss schon lernen, wie es geht, eine Beziehung zu führen? Doch er erkennt schnell, dass die Sache für Stella bitterer Ernst ist ...

Was mich neugierig gemacht hat:

Reine Liebesromane lese ich eigentlich nur dann gern, wenn die Prämisse interessant ist – und das ist hier mit Stellas Autismus und dem umgekehrten Pretty-Woman-Ausgangspunkt der Fall. Besonders neugierig gemacht hat mich aber die Tatsache, dass die Autorin selbst Autistin ist und deshalb einen Zugang zu ihrer Protagonistin hat, den Außenstehende auch mit viel Recherche sicher nicht hätten erreichen können.

Wie es mir gefallen hat:

Stella ist eine Protagonistin, wie sie mir in diesem Genre bisher noch nicht untergekommen ist. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihres Autismus ist man schnell mitten in ihrer Welt drin. Es ist schön mitzuerleben, wie sie mehr und mehr zu sich selbst zu stehen lernt.
Lovestorys bauen nicht selten auf ziemlich oberflächlichen Faktoren auf. Umso schöner fand ich die Lebendigkeit und Dynamik in dem, was sich zwischen Stella und Michael entwickelt. Auch wenn körperliche Anziehung eine Rolle spielt, ist das gegenseitige Verstehen wesentlicher.

Mit Einfühlungsvermögen und Situationskomik hält Helen Huong ihre Leser*innen bei der Stange. Im Mittelteil flacht die Spannung ab, doch der gelungene Perspektivwechsel und die Art, wie die Charaktere an den Geschehnissen wachsen, tragen dazu bei, dass es trotzdem nicht langweilig wird.
Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang vor allem auch die Szenen mit Michaels Familie.
Außer bei ein paar Grundelementen des Genres greift die Autorin selten in die Klischeekiste; nur das Ende verläuft meiner Ansicht nach zu zuckergussmäßig mit einem schnellen Stimmungswechsel.
Liebe hat nicht viel mit Ökonomie zu tun, oder? Wer das glaubt, hat nicht mit Stella gerechnet!

Jeder Band der Reihe kann für sich stehen. Im zweiten Teil „Love Challenge" wird es um Khai, eine Randfigur dieses Buches, gehen und damit um einen weiteren autistischen Hauptcharakter.

Ich vergebe sehr gute vier Sterne mit Tendenz zu vollen fünf.

(Für wen) Lohnt es sich?

Wer unterhaltsame Liebesromane mag, in denen nicht nur die immergleichen Rollen und Muster bemüht werden, kann in Stella und Michael mit Sicherheit ein Gespann zum Mitfiebern finden.
Die Protagonisten sind 30 und 28 Jahre alt; die Kernzielgruppe sind demnach Frauen in den Zwanzigern und Dreißigern.

In einem Satz: 

„Kissing Lessons" ist eine besondere, in sich abgeschlossene Liebesgeschichte mit jeweils genau dem richtigen Maß an Ernsthaftigkeit und Humor, die Autismus sehr nahbar macht und auf warmherzige Weise zeigt, warum jeder Mensch zu seinen Macken und Unzulänglichkeiten stehen darf und sollte.