Rezension

Wenn ich Doris doch umtauschen könnte...

Das kunstseidene Mädchen - Irmgard Keun

Das kunstseidene Mädchen
von Irmgard Keun

Bewertet mit 3 Sternen

Inhalt: Doris ist Sekretärin bei einem zudringlichen Rechtsanwalt. Sie will nicht mehr tagaus, tagein lange Briefe tippen, sondern ein Star werden. Sie will in die große Welt, ins Berlin der Roaring Twenties…

Irmgard Keun hat Doris‘ kunstseidene Abenteuer „naiv und brillant, witzig und verzweifelt, volkstümlich und feurig“  beschrieben (Hermann Kesten). Bunte Unterhaltung in Verbindung mit satirischer Zeitkritik – eine seltene Einheit. (Quelle: Buch)

Vor der Rezension: In Klassik Edition stelle ich euch Rezensionen zu etwas anderen Büchern vor. Bücher, die ich vielleicht im Zuge der Uni gelesen habe, vielleicht auch ein bisschen out-of-comfort privat und die eine Rezension wert sind. Ich spreche von Büchern, die viele unter euch als nervige Schullektüre bezeichnen würden. Mit der Ausnahme, dass die Bücher, die ich hier bespreche weg gehen von dem Lektürekanon. Ich möchte euch mit diesen Rezensionen zeigen, dass Klassiker auch toll sein können und da besondere Bücher auch besondere Rezensionen erfordern, werde ich die Rezensionen der Klassik Edition anders aufbauen als alle anderen. Schreibstil und Co sind bei diesen Büchern nicht wichtig. Der ist eh anders und meistens gewöhnungsbedürftig. Nein, ich möchte Literatur solcher Art kontextualisieren und weg gehen von „Was will der Autor uns damit sagen?“. Und wer weiß, vielleicht kann ich euch ja sogar dazu animieren den einen oder anderen Klassiker zu lesen und zu lieben.

Meine Meinung: Das kunstseidene Mädchen ist erstmals 1932 erschienen. Es spielt jedoch in den 20er Jahren. Hier in Deutschland. Wir befinden uns in der Weimarer Republik. Der erste Weltkrieg ist vorbei und die Niederlage sitzt noch tief in den Knochen. Außerdem erwartet die Weimarer Republik mit all ihren Problemen tagtäglich und Arbeitslosigkeit steht ganz oben auf der Problemliste. Mitten in diesem ganzen Chaos befindet sich Doris und, wie es zu dieser Zeit üblich war, sind Politik und das aktuelle Zeitgeschehen im Bürgertum in Vergessenheit geraten. Man will sich nicht mit all den politischen Problemen belasten. Man hat schon wirtschaftliche Sorgen genug. Außerdem boomen gerade Theater, Film und Kultur und das ist die Art, wie man sich zu dieser Zeit amüsiert und versucht die Sorgen zu vergessen. Genauso ist auch der Roman geschrieben. Doris möchte ein Glanz werden und groß herauskommen. Ihr Tagebuch, das wir in Form des Romans lesen, nutzt sie, um alle ihre Erlebnisse und ihren Weg nach ganz oben zu dokumentieren. Schreiben wie Film will sie und so ist der Schreibstil sehr szenisch und wird so interessant zu lesen. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich das Buch als ein Jugendbuch bewerten würde. Auch, wenn hinter dem kunstseidenen Mädchen mehr steckt als nur ein Unterhaltungsroman. Aber welche Botschaft steckt dahinter?

In den 20er Jahren gibt es DEN Trend. Er heißt „Die neue Frau“. Viele von euch haben jetzt sicher das Bild einer erfolgreichen Karrierefrau im Kopf, die Familie, Job und Freizeit perfekt unter einen Hut bekommt und dabei auch noch sehr erfolgreich ist. Dieses Frauenbild stand in den 20ern aber noch nicht stellvertretend für die neue Frau sondern eher die Sekretärin. Einfache Mädchen aus der unteren Mittelschicht. Mit der neuen Frau war ein Aufleben der Frau in Kultur und Medien gemeint. Man trug die Haare kurz, zog Hosen an, ging arbeiten und zeigte Interessen an kulturellen Dingen. So wurde die Frau recht schnell zu Werbezwecken genutzt und die konsumorientiere Seite von uns Mädels direkt angesprochen. Allerdings blieb die neue Frau nur ein Modetrend und viel sind an diesem Idel gescheitert. Spätestens mit den Nationalsozialisten ist das Bild völlig verschwunden. Anhand von Doris wird der Versuch eine neue Frau zu sein geschildert. Allerdings auf eine sehr satirische Art denn man könnte nicht mehr scheitern, als Doris es tut. Um ein Ganz zu werden und reich und berühmt zu sein will sie nämlich gar nichts tun. Sie will nicht dafür arbeiten sondern versucht es mit den Mitteln, die Frauen seit jeher benutzen um das zu bekommen, was sie wollen: Männer und Intrigen. Hier kommen wir dadurch auch zu dem Punkt, der mir an dem kunstseidenen Mädchen so gar nicht gefallen hat. Und dieser Punkt ist Doris. Wirklich, satirisch hin oder her, ich habe Doris wirklich gehasst und mal ganz ehrlich: Man will Doris auch einfach nicht als beste Freundin haben. Sie ist intrigant, hat komische Moralvorstellungen und weder Anstand noch Bildung. Aber genau mit Doris wird eben jenes Scheitern der neuen Frau gezeigt und das macht die Botschaft dahinter, die Verzweiflung, die mit diesem Scheitern einhergeht so deutlich.

Irmgard Keuns Roman trifft die Mentalität und den Zeitgeist der 20er Jahre also auf den Punkt und stellt die Gesellschaft in dieser Zeit sehr gut nach. Verpackt in einem Roman in Tagebuch-Form kann man Das kunstseidene Mädchen darüber hinaus sehr gut lesen und durch das filmische Schreiben wird das Geschehen sehr lebhaft und szenisch dargestellt. Die Protagonistin Doris war nicht meins und genau das hat mir den Roman sehr verdorben. Dennoch trifft sie genau mit Doris den Zeitgeist und stellt diesen auch sehr satirisch dar. Wenn ihr euch also für die Gesellschaft der 30er Jahre interessiert und über die Protagonistin hinwegsehen könnt bzw. ihr eher negative Charaktere sogar liebt, solltet ihr euch am kunstseidenen Mädchen versuchen.

Bewertung: Eigentlich sträube ich mich ein bisschen gegen das Bewerten von Klassikern. Ehrlich. Ich will euch mit schlechten Bewertungen nicht abschrecken noch sind die Bücher, die ich mit 5 Füchschen bewerte für euch auch immer Highlights. Und was für Belletristik gilt, das gilt erst recht für die Klassiker. Dennoch habe ich mich entschieden Füchschen zu vergeben obwohl ich euch dennoch sagen muss: alle Klassiker sind lesenswert! Wagt euch ruhig mal dran und werft einen Blick über den Tellerrand. Es tut gut. Obwohl es im letzten Abschnitt oben den Anschein hat, als hätte mir das Buch sehr gut gefallen und als sei Doris mein einziger Kritikpunkt muss ich sagen, dass genau dieser Kritikpunkt eine sehr große Wirkung auf meinen Lesespaß hatte und ich in dieser Hinsicht wirklich enttäuscht vom Buch war. Deshalb bekommt Das kunstseidene Mädchen von mir nur 3 von 5 Füchschen, da ich mit Doris einfach so gar nicht klar kam.