Rezension

Wenn jemand Livingstones Köchin und Diener befragt hätte - ein alternativer Expeditionsbericht

Aus der Dunkelheit strahlendes Licht - Petina Gappah

Aus der Dunkelheit strahlendes Licht
von Petina Gappah

Bewertet mit 3.5 Sternen

Als David Livingstone nach langer Krankheit am 1. Mai 1873 in Chitambo am Bangweulusee stirbt, begraben seine allerersten Träger Abdullah Susi und James Chuma sein Herz, balsamieren seine Leiche ein und transportieren sie 1500 Meilen weit nach Bagamoyo an der Ostküste, damit sie zurück nach Europa gebracht werden kann. Livingstone war auf der Suche nach den Nilquellen, über die Herodot schrieb, ohne sie selbst gesehen zu haben. Diese Expedition, die Livingstones Aufzeichnungen für die Nachwelt rettete, beschreibt Petina Gappah aus der Sicht von Halima, Livingstones Köchin und von Jacob Wainwright, einem so genannten Nassick-Boy, der von Europäern aus einem Sklaventransport befreit und in Indien in einer Missionsschule als Diener für Weiße erzogen wurde. Halimah war die Tochter einer Sklavin aus Sansibar und wurde von Livingstone freigekauft. Dass sie damit nicht in Livingstones Besitz überging, war ihr lange nicht bewusst. Halimah wird z. B. in den genannt in: "Henry M. Stanley: Wie ich Livingstone fand. Reisen und Entdeckungen in Zentral-Afrika" und "Volker Matthies Im Schatten der Entdecker. Indigene Begleiter europäischer Forschungsreisender".

Petina Gappahs alternative Livingstone-Biografie wird von zwei Figuren erzählt, die bisher Fußnoten der Geschichte waren, stellt Yaa Gyasi treffend fest. Im ersten Drittel ihres Buches nimmt Halima (laut Livingstone die Frau mit dem ungeheuerlichen Mundwerk) offen und couragiert zu den Fehlern Stellung, die die Mzungus (Weißen) bei ihren Entdeckungsreisen auf dem afrikanischen Kontinent aus ihrer Sicht begehen. Sie muss zwar Bwana Daudi (Livingstone) zugestehen, dass er die diplomatische Kunst beherrscht, eine Expedition schwarzer Träger zusammenzustellen; was sie nicht begreifen kann, ist allerdings, warum weiße Männer ihre eigenen Kinder in der Heimat unversorgt zurücklassen, um irgendwelche Flüsse zu erforschen. Dem Nil wäre es egal, ob seine Quelle gefunden wird und die Flüsse würden immer noch existieren, wenn die Forscher längst tot wären. Halima durchschaut die Widersprüche speziell von Missionaren, die zwar offiziell Sklaverei ablehnen, aber dennoch selbst Sklaven kaufen. Halima wurde von Livingstone als „Frau für die Reise“ für Amodi gekauft, dem sie ins Auge fiel, ganz in der Tradition, dass alle Diener eine Ehefrau für unterwegs brauchten, damit sie den anderen Sklavinnen nicht nachstellten. Selbst Henry M. Stanleys Diener Bombay muss einen eigenen Kindersklaven gehabt haben, der sein Gewehr trug. Halimas Sicht der Dinge klingt pragmatisch und bodenständig und ich bin ihren Vorstellungen interessiert gefolgt. In diesem Text ist Halima es, die den Wert der Aufzeichnungen Livingstones betont, weil andere Menschen sicher wissen wollen, was L. bisher erforscht hat. Hätten weiße Forscher Frauen wie ihr zugehört, wären ganzen Kontinenten Ausbeutung und Missionierung erspart geblieben.

Schockierend wird die alternative Geschichte vom Transport Livingstone Leichnams allerdings, als Jacob Wainwright für die beiden restlichen Drittel des Buches die Chronistenrolle übernimmt. Von weißen Missionaren schon als Kind zum Diener trainiert, wirkt er britischer als die Briten und fanatischer als ein christlicher Missionar. Jacob hat offenbar kritiklos verinnerlicht, was man ihm in der Missionsschule eingebläut hat und wird mit seinem rassistischen Menschenbild zum Fürsprecher der Unterdrücker Afrikas. Jacob ist überzeugt davon, dass er anderen überlegen ist, weil er die Sprache der Weißen spricht und nicht nur für einen weißen Bwana gearbeitet hat. Jacobs Mission: er will Gottes Wort zu denen bringen, die ihn als Kind in die Sklaverei verkauft haben. Dieser gebildetste, kultivierteste, moralisch überlegenste aller Diener wirkt in seiner Überheblichkeit schwer erträglich, so dass ich mir beim Lesen so manches Mal die bodenständige Halima zurückgewünscht habe. Von der Figur Jacobs ermüdet, bleibt jedoch Petina Gappah als Entdeckung zu nennen, die bereits einige Romane veröffentlicht hat.

Petina Gappah hat am Livingstone-Thema 20 Jahre lang gearbeitet und legt einen mit Glossar und Quellenverzeichnis sorgfältig konzipierten Roman aus bisher ungehörter Perspektive vor, in dem sie Livingstone selbst in Zitaten zu Wort kommen lässt. Auch wenn Jacobs Überheblichkeit eine Geduldsprobe war, hat Gappah mich perfekt unterhalten – und meine Neugier auf Stanleys Bericht geweckt.