Rezension

Wenn Kinder zu Sozial Media Stars erzogen werden...

Die Kinder sind Könige -

Die Kinder sind Könige
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4 Sternen

Mit einer Eindrücklichkeit wird über die Gefahren der Sozialen Medien erzählt, vor allem das Ausbeuten von Kindern. Aktuell, wirklichkeitsnah und sehr beängstigend.

Mélanie ist riesiger Fan von Reality-TV-Formaten und war als 26jährige sogar einen ganzen Tag lang bei einem Format dabei.
Jahre später, als verheiratete Frau und Mutter zweier Kinder, die von ihrem Dasein gelangweilt ist, wird sie auf Youtube und Instagram aufmerksam, wo es etliche Familienkanäle gibt.
Das will sie auch, und daher pusht sie ihre Kinder Kimmy und Sammy, dreht jeden Tag Videos und Stories, macht bei sämtlichen Challenges mit, die gerade "in" sind, um bis an die Spitze zu kommen. Sie schafft es auch, hat viele Tausende Follower, scheffelt ein Vermögen damit und sahnt jede Menge gratis Produkte ab, doch zu welchem Preis?
Am 10. November 2019 verschwindet ihre 6jährige Tochter Kimmy beim Versteckspiel. Jeder kennt das Mädchen seit 4 Jahren aus ihren Youtube-Videos. Wurde Kimmy entführt? Und wenn ja, von wem und warum?

Meine Meinung:
Die Autorin behandelt in diesem Roman ein mehr als aktuelles Thema: Social Media. Genauer gesagt: Kinder in Sozialen Medien.
Die Entwicklungen in den Social Media machen mir schon länger Angst; ich empfinde und reagiere genau wie die Polizistin Clara aus dem Roman: mit Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit. Darüber, dass man sein Leben und seine intimsten Dinge teilt. Oder sich riesige Scheinwelten erschafft. Doch das Unbegreiflichste ist, wie viel Geld man damit verdienen kann: unfassbar viel Geld.
Und wenn dann für seine Ego-Darstellungen und das Scheffeln von Geld die eigenen Kinder ausgebeutet werden, dann hört der "Spaß" auf.

Die Geschichte berichtet von einer einsamen Frau, die in ihrem langweiligen Leben unglücklich ist, und die durch das sich-selbst-Präsentieren in der Öffentlichkeit (zuerst durch Reality-TV, später durch Soziale Medien) ihr Leben definiert. Sie ist nur dann glücklich, wenn sie noch mehr Fans bekommt und noch mehr Likes erhält. Das viele Geld ist ein positiver Faktor nebenbei, aber eigentlich geht es nur darum, sich geliebt zu fühlen. Ohne, dass man merkt, dass man gar nicht "richtig geliebt" wird. Denn auch eine große Fangemeinde macht einsam. Und das Allerschlimmste: man nimmt keine Rücksicht zu den Gefühlen und Bedürfnissen anderer, vor allem seines Ehepartners und seiner Kinder.

Die Story ist auch aufgrund des nüchternen Schreibstils deprimierend, düster und melancholisch und macht mich unfassbar traurig. Die Autorin ließ mich sprachlos zurück, denn ich muss ehrlich zugeben, ich selber habe nicht darüber nachgedacht, wie die Kinder empfinden, dessen Kanäle meine Tochter angesehen hat, als sie noch klein war. Machen die das wirklich gerne? Ü-Eier und Überraschungspakete auspacken, Spielsachen testen, wohl ja. Aber diese ganzen unsagbaren Challenges? Und wenn sie mal nicht mögen, "müssen" sie dann trotzdem, so wie Kimmy und Sammy? Gibt es Gesetze zum ausreichenden Schutz dieser Social Media-Kinderstars?
Leider ist die Geschichte von Delphine de Vigan in heutigen Zeiten sehr real...

Der Aufbau ist sehr interessant gestaltet: abwechselnd liest man Polizeiberichte bzw. Vernehmungen aus dem Jahr 2019, und dazwischen sind Rückblenden in Mélanies Leben bzw. liest man aus Sicht der Polizistin Clara die aktuellen Ermittlungen und die Suche nach dem Mädchen.
Der Schluss, der 12 Jahre später spielt, war mir persönlich etwas zu offengelassen und zu schnell abgehandelt, ich hätte gerne mehr erfahren bzw. genauer ausgeführt bekommen, wie es mit der Klage von Kimmy und dem Leben von Sammy weitergeht.

Fazit:
Dieser Roman hat Sogwirkung von der ersten Seite an, man ist sprachlos ob so viel Ungeheuerlichkeit. Die eindrücklich dargestellte Social Media und Reality-TV-Szene, und vor allem auch, wie Kinder dabei ausgebeutet werden, berührt und lässt einen nachdenklich und traurig zurück.