Rezension

Wenn man beim Lesen vergisst, dass man liest, dann steht King auf dem Cover!

Revival - Stephen King

Revival
von Stephen King

Bewertet mit 4 Sternen

~~“Irgendwas. Irgendwas. Irgendwas. Ist passiert. Passiert, passiert. Irgendwas ist passiert.”

Stephen Kings neuester Roman hat es endlich geschafft auf Deutsch zu erscheinen, nachdem das Buch bereits seit November letzten Jahres im Original zu erhalten ist. Für mich als großen Fan ist es gar keine Frage, dass jedwede anderweitige Lektüre sofort beendet wurde und ich mich ausschließlich “Revival” gewidmet habe.

Im Vorfeld habe ich versucht zu vermeiden jegliche Informationen zu diesem Buch zu erhalten. Einen neuen Stephen King lese ich sowieso, da möchte ich mich vom Inhalt überraschen lassen, da dieser Autor trotz seines Stempels als Horroraltmeister sehr vielfältig schreiben kann und dies auch tut. Trotzdem drang zu mir vor, dass “Revival” wieder ähnlich gruselig sein soll wie die frühen Werke Kings. Wenn man mit dieser Prämisse an das Buch herangeht wird man meines Erachtens aber enttäuscht werden, da es mehr um das Leben eines wenig besonderen aber sympathischen Protagonisten geht als um den Horror, der sein Leben hin und wieder streift.

Das erste Mal legt sich dieser Schatten im Oktober 1962 über den damals sechsjährigen Jamie, der mit seinen Spielzeugsoldaten vor dem Familienhaus ein Gefecht ausführt. Er gehört dem neuen Pfarrer der Gemeinde, der sich der kinderreichen Familie vorstellt. Reverend Charles Jacobs wird das Leben von Jamie noch öfter streifen und ihn dabei immer mehr in Dinge verstricken, die mit seiner elektrifizierenden Leidenschaft und Dingen, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, zu tun haben.

Jamie als Protagonist ist (mal wieder) eine Figur, die mir absolut real vorkam. Ich habe die ersten Seiten gelesen und war kein Leser mehr, ich war in Jamie und erlebte die Geschehnisse wie er, nur dass ich seine Handlungen nicht beeinflussen konnte. Man vergisst beim Lesen einfach, dass man liest, man lebt und erlebt die Geschichte hautnah. Dies ist für mich eines der besonderen und großen Talente Kings. Gerade Jamies Kindheit war für mich sehr plastisch, emotional und wunderbar zu begleiten. Dann wächst man mit ihm, erfährt die erste Liebe, stürzt im Leben ab und fängt sich wieder. Jamie wird Musiker, zwar kein besonders guter, aber es reicht zum Überleben. Zudem verfällt er den Drogen und ist demnach Stephen King selbst ähnlich, der auch mit Süchten zu kämpfen hatte und hat und der selbst Gitarre spielt. Dadurch, dass King sich selbst und seine Erlebnisse in seinen Romanen verarbeitet, weiß er, wovon er schreibt und erzeugt zusätzlich Realität. Und in diese Realität hinein taucht immer wieder Reverend Charles Jacobs ein.

Der Reverend fällt bereits zu Beginn des Buches vom Glauben ab, als etwas Schreckliches passiert. Immer fanatischer wird er ab dann jedoch was sein Hobby angeht – die Elektrizität. Er vermag hier schnell Dinge zu tun, die unglaublich erscheinen. Gleichzeitig zerrt ihn diese Leidenschaft aus und lässt den einst jungen und sympathischen Geistlichen zu einem Zerrbild seiner Selbst werden. Man kann auch ihn verstehen und nachvollziehen, doch ist es schon erschreckend, wie gnadenlos er sein Ziel verfolgt und wie wenig ihn Anderes dabei interessiert.

Sobald Jamie und Jacobs außerhalb des Heimatortes das erste Mal aufeinander treffen verliert die Geschichte leider etwas von ihrem faszinierenden, so real erscheinenden Sog. Dies will nicht heißen, dass sie schlecht wird (ganz bestimmt nicht), aber Leser, die mit Kings schreiberischer Elefantiasis eh ihre Probleme haben, werden hier definitiv Längen spüren. So plastisch, ausführlich und emotional Jamies Kindheit beschrieben wurde, die Erzählfahrt nimmt zu umso älter Jamie wird und daher fehlt teilweise einfach die Tiefe, die dem Charakter zu Beginn anhaftet. Gerade einige Schicksalsschläge aus seiner Familie hätte ich mir nicht erzählt sondern erlebt gewünscht. Zudem erschien mir das Drogenproblem des Protagonisten ein bisschen wie ein warmer Aufguss aus Doctor Sleep und dieses Buch ist ja auch noch nicht besonders alt.

Etwa zur Hälfte des Buches begegnet der Leser dann zusammen mit Jamie das erste mal dem Grusel, der den Reverend begleitet und immer tiefer in sich hineinzieht. Das Ganze endet dann in einem wirklich guten, fulminanten Finale, dass einen doch etwas verstört zurück und hoffen lässt, dass dies nie und nimmer eintreten wird. Zudem würdigt King nicht nur in der Widmung des Buches, sondern auch in diesem Finale die Altmeister der Gruselliteratur, allen voran Mary Shelley.

Natürlich dürfen auch die Referenzen auf andere Werke aus dem Kinguniversum nicht fehlen, die mich immer diebisch erfreuen. Hier gibt es wie gewohnt sehr offensichtliche, aber auch versteckte Dinge, die das Fanherz immer höher schlagen lassen. Zudem frage ich mich, ob King auf Seite 260 seinen Deutschlandbesuch 2013 würdigt. Hier trat er ja zuerst im Zirkus Krone in München auf, bevor er in Hamburg im Congress Center aufschlug. Auf besagter Seite wird der Tourneeauftakt der aktuellen Band, in der Jamie spielt beschrieben; zuerst im Circus One und dann im Congress Theater. Träfe dies zu, dann wäre das eine schöne Geste für die deutschen Fans.

“Revival” ist ein sehr gutes Buch von King, aber wer mit seinem Talent gesegnet ist kann es auch noch besser und hat es schon noch besser gekonnt. Wer die Lebensgeschichte eines Protagonisten lesen mag, der sympathisch, aber nicht besonders ist, der aber immer wieder mit einer sehr speziellen und besonderen Person in Kontakt und unter dessen Einfluss kommt, der ist mit diesem Buch mehr als gut beraten. King kann einfach in die Köpfe der Menschen schauen. Wenn man beim Lesen vergisst, dass man liest, dann steht King auf dem Cover! Es gibt auch Grusel und etwas Phantastisches in diesem Buch, doch darf man dies nicht als Hauptthema erwarten. Ich habe mich wieder in der kingschen Fantasie verlieren können und es sehr genossen.