Rezension

Wenn man sich in der Welt nicht mehr zurechtfindet

Fabian - Erich Kästner

Fabian
von Erich Kästner

Bewertet mit 5 Sternen

Was passiert, wenn die Welt und die ganze Gesellschaft sich gegensätzlich zu den eigenen Idealvorstellungen entwickelt? Entweder man versucht in dieser Welt zu überleben oder man geht daran zu Grunde. In diese seelische Zwickmühle gerät der promovierte Germanist Jakob Fabian. Gestrandet im Berlin der 1930er Jahre verdingt er sich als Werbetexter in einer Zigarettenfabrik. Kein Traumjob, aber er kommt über die Runden und lernt bald auch eine junge Frau kennen und lieben. Doch dann verliert er seine Arbeit und plötzlich beginnt sein ganzes Leben vor die Hunde zu gehen.

Erich Kästners „Fabian“ ist eine, vor allem für die damalige Zeit, sehr provokante Großstadtsatire. Am Beispiel seines Protagonisten schildert Kästner sehr treffend den seelischen Niedergang der Berliner kurz vor Hitlers Machtergreifung: Arbeitslosigkeit, Hunger, Verzweiflung und politischer Fanatismus kennzeichnen den Zustand der in Auflösung begriffenen Gesellschaft. Während draußen der gesellschaftliche Verfall droht, treiben sich die deutschen Großstädter aber lieber in illegalen Kneipen, extravaganten Künstlerateliers oder Bordellen herum – leben in ständigem Rausch, als ob es kein Morgen gäbe. Kein Wunder, dass sich ein Moralist wie Fabian in so einer Welt nicht mehr zurechtfindet.

„Fabian“ ist ein brillantes Werk – spritzig und mit sehr viel Witz erzählt, bisweilen sehr bissig, und an manchen Stellen auch gedankenschwer und voller Weltschmerz. Erstaunlich ist aber, wie aktuell der Roman noch heute ist. So äußert sich Fabian über die Ängste seiner Generation, eine Familie zu gründen, weil die Arbeitsverhältnisse doch so unsicher seien. Diese Gedanken könnten auch von einem Dreißigjährigen aus unserer Zeit stammen. Und Labudes Hoffnung auf eine anti-kapitalistisch gesonnen Jugend Europas erinnert an die heutige Occupy-Bewegung.