Rezension

Wenn Musik verboten wird

Das Lied meiner Schwester - Gina Mayer

Das Lied meiner Schwester
von Gina Mayer

Bewertet mit 4 Sternen

Die Kunst ist frei – ein Ausspruch, der heute – zumindest in Deutschland und Europa – als so selbstverständlich hingenommen wird. Dass das nicht immer so war, zeigt ein Blick zurück in die Geschichte: Als die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren an die Macht kamen, begannen sie nach und nach Kunst, die sie als „entartet“ ansahen, zu verbieten. Das betraf nicht nur Bilder oder Bücher, sondern auch Musik: Schlager und Operetten jüdischer Musiker, Swing und Jazz, Werke politischer Komponisten – das Spektrum „entarteter“ Musik war riesig. Wie stark die Musik- und Kunstszene von den Nationalsozialisten beeinflusst wurde und was diese Einschnitte für Musiker in der damaligen Zeit bedeuteten, beleuchtet Gina Mayer in ihrem Roman „Das Lied meiner Schwester“.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die zwei ungleichen Schwestern Anna und Orlanda. Anna, die Ältere, Vernünftige, geht in ihrem Beruf als Krankenschwester auf, hat sich aber auch der Kirchenmusik verschrieben und spielt am Sonntag Orgel in der Kirche. Orlanda, die Sprunghafte, Emotionale, Leidenschaftliche, ist ausgebildete Operettensängerin. Bald entdeckt sie ihre Liebe zu Jazz und Swing und taucht tief in die Swing-Szene ein. Als die Nazis die Macht ergreifen, bekommen das sowohl die beiden Schwestern als auch deren Freunde zu spüren und jeder von ihnen wird auf eine andere Art und Weise in der Ausübung seiner Kunst eingeschränkt. Als die Situation immer schlimmer wird, gehen Anna und Orlanda in den Widerstand.

Gina Mayer hat sich sehr um Authenzität bemüht und man merkt, dass sie sehr gut recherchiert hat. Man erfährt einiges über die Musikszene der 1930er und -40er Jahre. Auch die Rolle der Evangelischen Kirche während des Dritten Reichs ist Bestandteil der Geschichte. Der Schreibstil ist sehr angehem, lebendig und emotional. Mayer gelingt es sehr gut, die Atmosphäre der damaligen Zeit zu transportieren: Die Angst vor Strafen, wenn man sich nicht regimetreu verhält. Die bodenlose Ungerechtigkeit jüdischen Künstlern gegenüber, die plötzlich nicht mehr auftreten durften. Die innere Verzweifulung der Musiker, weil sie ihre Kunst nicht mehr richtig frei ausüben können. Während sich Orlanda und Anna zur Wehr setzen, zerbrechen einige ihrer Freunde an der Situation.

Nicht ganz so perfekt gelungen sind Mayer allerdings ihre Charaktere beziehungweise deren Entwicklung: Vor allem Orlanda handelt zum Teil sehr unglaubwürdig. Auch ihr Ehemann Leopold lässt sich am Ende zu einer Handlung hinreißen, die nicht wirklich nachvollziehbar ist. Ein paar andere Figuren wirken wir Prototypen. Etwas lieblos und dahingeklatscht fand ich auch die Rahmenhandlung, die allerdings nur ein paar Seiten einnimmt.

Im Großen und Ganzen ein interessanter historischer Roman, der mal eine etwas andere Seite des Nationalsozialismus behandelt, als andere Romane. Eine traurige, düstere Geschichte, die ich auf jeden Fall weiterempfehlen kann.