Rezension

Wenn nichts mehr so ist, wie zuvor

Der Morgen davor und das Leben danach -

Der Morgen davor und das Leben danach
von Ann Napolitano

„Was passiert ist, Edward, ist in deine Knochen eingebrannt. Es lebt unter deiner Haut. Es wird nicht weggehen.“

 

Der 12-Jährige Eddie überlebt als einziger Passagier einen Flugzeugabsturz und verliert dabei seine ganze Familie. Ein Unglück, das sein ganzes bisheriges Leben in ein Vorher und ein Nachher zerreißt. Die Tragödie legt sich auf Eddies Leben wie ein großer, betäubener Schleier und ist allgegenwärtig. Das Zitat am Anfang stammt von Edwards Psychologen und ich finde es beschreibt eindrücklich, welchen unglaublich großen Einfluss so ein Trauma auf das eigene Leben haben kann. Entscheidet ist jedoch, wie die Unterhaltung weitergeht: Edward wird nie wieder ohne das Unglück leben, aber er kann lernen mit dem Unglück zu leben.

 

Auf diesem Weg begleiten wir Edward in „Der Morgen davor und das Leben danach“. Dabei teilt die Autorin zwei verschiedene Zeitebenen: Den Morgen im Flugzeug und die Jahre danach, in denen Edward bei seiner Tante und seinem Onkel versucht, wieder Fuss zu fassen.

 

Die Ereignisse im Flugzeug werden dabei aus der Sichtweise verschiedener Passagiere beschrieben, die alle unterschiedliche Pläne für ihr Leben haben; es dreht sich um neues Leben und Schwangerschaft, Krankheit und Tod, Karriere, Spriritualität, Liebe und Anziehungskraft. Dadurch, dass von außen betrachtet schon klar ist, dass alle Pläne ins Leere laufen werden, entsteht eine beklemmende, angespannte Atmosphäre beim Lesen. Besonders interessant habe ich auch die Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung empfunden, denn die Passagiere interagieren natürlich miteinander und bewerten sich. Außerdem sind diese Abschnitte durch den starken Kontrast der technisch, sachlichen Schilderung des Absturzes und der emotionalen Reaktion der Passagiere gekennzeichnet.

 

Im Gegensatz zu der vielschichtigen Geschichte vor dem Absturz ist Edward in seinem neuen Leben zunächst wie betäubt und unfähig sich dem Erlebten und seinen Gefühlen zu stellen. Seine Tante Lacey und sein Onkel John versuchen ihn so gut es geht zu unterstützen, aber auch sie müssen sich in der neuen Rolle erst finden. Lacey, die selbst gerne Mutter geworden wäre, ist nun plötzlich mit ihrem Neffen konfrontiert. Das Thema Mutterschaft wird in dem Roman an vielen Stellen aufgearbeitet.

 

Das Buch vermittelt eindrücklich, dass Trauer und Traumaverarbeitung keine Aufgabe sind, die man schnell erledigen kann, sondern sich vielschichtig durch das ganze weitere Leben ziehen und immer neue Formen annehmen können. Sie sind wirklich „in die Knochen eingebrannt“. Wärend andere schon längst normal weiterleben, fängt für Edward die Trauerarbeit erst an.

 

Mich konnte die Autorin mit dem Buch und insbesondere dem Wechsel der Perspektive überzeugen. Auch wenn in erster Linie Edward von dem Unglück stark betroffen ist, zeigt es doch, dass jedes Unglück auch viele weitere Menschen trifft, beeinflusst und verändert.