Rezension

Wenn sich die Erde auf einmal langsamer dreht... Ein wunderbar poetischer Roman

Ein Jahr voller Wunder - Karen Thompson Walker

Ein Jahr voller Wunder
von Karen Thompson Walker

Bewertet mit 5 Sternen

Die Neuigkeit wird verkündet, als die 11-jährige Julia mit ihren Eltern am Frühstückstisch sitzt. Seit kurzer Zeit verlangsamt sich die Erdrotation spürbar und die Forscher wissen noch nicht, wie sich das auf das zukünftige Leben auwirken wird. Und nach diesem Morgen ist alles anders wie zuvor. Nicht nur die persönlichen Probleme, wie Julias erste Liebe, Streiterein zwischen ihren Eltern und alte Freundschaften, die kaputtgehen, beschäftigen die Familie, auch die Folgen der Verlangsamung lassen nicht lange auf sich warten. Und die Frage stellt sich: Hast du die Zeit, die dir zur Verfügung stand, für die richtigen Dinge genutzt?

In der heutigen Zeit gibt es eine Menge Endzeitromane, Dystopien oder auch postapokalyptische Geschichten, aber ein Buch wie "Ein Jahr voller Wunder" hat es in diesem Genre noch nie gegeben und wird es bestimmt auch nicht wieder.

Da wäre schon einmal die ungewöhnliche Idee.
Denn nicht wie sonst tritt der Untergang der bisher gewohnten Welt durch einen blutrünstigen Krieg oder durch Epidemien, die Millionen von Menschen töteten, ein.
Es ist eine schleichende Gefahr, die den Menschen in diesem Roman das Leben schwer macht.
Zu Beginn merkt man den Unterschied zu vorher und überhaupt die Auswirkungen auf die Umwelt kaum, aber als dann irgendwann ein einziger Tag über 40 Stunden dauert, zeigen sich die ersten Probleme.
Die Licht- und Dunkelheitperioden werden beispielsweise jeweils immer länger und durch die lange Helligkeit wird es unerträglich heiß und aufgrund der langen Nächte sterben die Nutzpflanzen ab, da diese nicht genügend Sonne bekommen um zu wachsen.
Durch das langsame Drehen der Erde steigt die Anziehungskraft der Erde und so passiert es später immer wieder, dass Vögel vom Himmel stürzen, weil sie zu schwach sind, um sich in der Luft zu halten.
Und dies sind nur ein paar der erschreckenden Folgen der Verlangsamung.

Die Gesellschaft spaltet sich in Menschen, die weiterhin nach der normalen 24-Stunden-Uhr leben und in eine Gruppe, die sich die Echtzeiter nennen, die versuchen ihren Biorhythmus an die neuen Tageszeiten anzupassen. 

Außerdem wird die Geschichte von einem Mädchen erzählt, der 11-jährigen Julia, die gerade die ersten Phasen der Vorpubertät erlebt.
Streit mit der besten Freundin, die Eltern werden komisch und natürlich die erste, leise Liebe zu Seth Moreno, ein Klassenkamerad von ihr.

So wie die Seiten vorbeifliegen, so wird Julia auch älter und reifer, auch natürlich wegen der Umstände. In einer Welt, in der jeder Tag länger ist als der davor und in der die Lebensumstände immer schwieriger werden, muss ein Kind leider schneller erwachsen sein wie sonst.

Ich habe Julia jedenfalls sofort ins Herz geschlossen mit ihrer Schüchternheit und ihrem lieben Wesen und auch die Nebencharaktere mochte ich zwar nicht immer, aber das lag einfach an ihrer Persönlichkeit und nicht an ihrer fehlenden Authentizität, die war vorhanden!

Aber das ist ja alles schön und gut, eine gute Idee und gute Charaktere machen eine Geschichte noch lange nicht zu etwas so Besonderem wie diesem Buch.

Es war der Schreibstil, der mich ganz und gar verzaubert hat und den ich ohne großes Überlegen zu meinen Top 3 dazuzähle.
Er ist philosophisch, malerisch, poetisch, aber man kommt sich nie wie in einer Gartenbeschreibung von Rosamunde Pilcher vor. 
Ich kann das jetzt nur schwer beschreiben, aber den Schreibstil kann man vielleicht als "bittersüß" bezeichnen, wenn ihr versteht, was ich meine..

Genauso bittersüß fällt das Ende auf, das auf der einen Seite offen bleibt, aber man weiß eigentlich genau wie es ausgeht und das ist das tragische.
Und trotzdem taucht wieder die Devise des ganzen Romans auf:

Egal was passiert, man muss versuchen weiterzumachen!

Fazit

Ich merke gerade erst, dass die Rezension mal erstaunlich kurz geworden ist, aber mehr muss man zu diesem wundervollen Buch nicht sagen.

Es hat mich berührt, das letzte Kapitel verdient den Preis: "Bestes letztes Kapitel aller Zeiten" und ich werde dieses Buch bestimmt noch einmal lesen, nur um in diese fantastisch zusammenpassenden Worte einzutauchen.
Eigentlich erzählt der Roman nur das Leben eines ganz normalen, belanglosen Lebens, aber genau das trifft ins Herz, denn es stellt sich nach dem Zuklappen die Frage:

Was würdest du machen?