Rezension

"Wer allein bleibt, den frisst der Wolf" - Cihan Acars bedrückender Streifzug durch Heilbronn und sein Problemviertel "Hawaii"

Hawaii - Cihan Acar

Hawaii
von Cihan Acar

Bewertet mit 4.5 Sternen

"Hawaii" ist sprachlich wie inhaltlich für mich ein sehr tolles Buch. Ich habe es mitten in einer Zeit gelesen, in der ich mich kaum auf etwas konzentrieren konnte und recht wenig Lust auf Bücher hatte und doch hat dieser Roman gleich mit den ersten Abschnitten bei mir eingeschlagen. 

"Meine Eltern wollten eigentlich auch nicht hierher. Davor lebten wir in einem der vielen Dörfer, die es um Heilbronn herum gibt. Im ganzen Ort gab es außer uns nur zwei andere türkische Familien, aber wir kamen gut zurecht. Dann meldete der Vermieter Eigenbedarf an und wir mussten raus. Auf die Schnelle fand mein Vater nur im Hawaii was Neues."

Cihan Acar erzählt die Geschichte eines türkischen Fußballprofis, der aufgrund eines blöden Unfalls seine ganze Zukunft versaut und seinen linken Fuß demoliert hat. Dieser Roman spielt allerdings nicht in der Türkei sondern in Heilbronn oder besser gesagt in Hawaii, dem Problembezirk der Stadt. Wir begleiten den einundzwanzigjährigen Kemal Arslan zwei Tage und drei Nächte lang, besuchen mit ihm eine Hochzeit, ein Striplokal, eine Kneipe, ein Wettbüro ... und treffen auf Freunde, ihm gegenüber positiv gestimmte Menschen, aber auch Rassisten. Nachdem ihm alles weggebrochen scheint, versucht Kemal erneut Halt zu finden. Seine Familie lebt in Heilbronn und auch er ist zurückgekehrt. Vom einstigen Star ist beinahe nichts mehr geblieben, einige Menschen erkennen ihn noch und sein ramponierter Jaguar wartet in der Tiefgarage auf seine Reparatur, aber sonst? Nichts. Er ist pleite und beinahe schon verzweifelt versucht er nun irgendwie wieder aus diesem Loch herauszukommen. Kemal bemüht sich um Arbeit, möchte seine einstige Liebe, die er für den Fußball aufgegeben hat, erneut für sich gewinnen und lässt sich treiben. Doch es ist nichts mehr wie es mal war. In der Stadt braut sich was zusammen, die Stimmung wird rauer und dann ist er auch schon mittendrin...

"Ich starrte lange in den fleckigen Spiegel, doch da war niemand. Ein Niemand ohne Geld, ohne Job, ohne Aufgabe. Ohne Sina, ohne Sinn."

Dieser Roman hat bei mir einiges an Gedanken losgetreten. Normalerweise liest man ja immer von Geflüchteten, die zu Migranten werden oder von Integrationsproblemen, doch was ist, wenn man die Stadt für etwas 'besseres' verlässt, fällt und dann nach Jahren zurückkehrt? Kemal sucht erneut Halt, eine Zukunft, ein Ziel und das in einer Stadt, in der er sich eigentlich gut auskennt, doch das scheint schwieriger als erwartet und die allgemeine Situation macht es nicht gerade einfacher sich willkommen/angekommen zu fühlen. Es ist ein Buch voller Sehnsucht, Illusion und Einsamkeit, aber auch der großen Hoffnung die Zeit zurückdrehen zu können. Cihan Acar beschreibt für mich Deutschland noch einmal von einer anderen Seite und zeigt Probleme auf, ohne verurteilend, angreifend oder überzogen zu sein. Es treffen verschiedene Menschen bzw. Mentalitäten und Gesellschaftsschichten aufeinander und gerade das macht dieses Buch für mich so faszinierend. Natürlich gibt "Hawaii" keine konkreten Wegweiser aus dieser Situation hinaus. Und selbst, wenn es sich hier um einen fiktionalen Roman handelt, so zeigt er doch diesen schwierigen Punkt, an dem sich die Gesellschaft momentan befindet und wie alles ausarten kann. Gedanklich wird mich dieses Buch sicherlich noch eine Weile begleiten und ich hoffe tatsächlich, dass dies nicht der einzige Roman von Cihan Acar bleiben wird. Sehr toll!.

"Wie lange wollt ihr noch streiten da unten, wann seht ihr es endlich ein, dass ihr alle gleich seid? Ich schaue mir das nicht länger an, nein, ich heize euch jetzt mal so richtig ein, und zwar so lange, bis ihr entweder zur Vernunft kommt oder endlich in den Kampf zieht. Krieg oder Frieden..."