Rezension

Wer ist der unsichtbare Freund?

Der unsichtbare Freund - Stephen Chbosky

Der unsichtbare Freund
von Stephen Chbosky

Nachdem sich ihr Ehemann wegen Depressionen in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten hat, gerät Kate offenbar immer wieder an die falschen Männer. Und darum flieht sie auch mitsamt ihrem siebenjährigen Sohn Christopher vor dem nächsten gewalttätigem Freund nach Mill Grove, einer abgeschiedenen Kleinstadt, in der sich alles zum Guten zu wenden scheint. Nachdem Christopher sechs Tage verschwunden war, taucht er plötzlich wieder auf, kann sich an nichts erinnern, hat aber plötzlich neue erstaunliche Fähigkeiten, seine Mutter gewinnt in der Lotterie und Chris schließt Freundschaften. Doch warum soll er plötzlich ein Baumhaus im Wald des Bauunternehmers noch vor Weihnachten fertig stellen? Hat Christopher vielleicht sogar die psychischen Probleme seines Vaters geerbt? Und was hat es mit dem "netten Mann" auf sich, der ständig aus dem Nichts heraus mit ihm redet?

Was zunächst wie ein netter Roman aus dem USA erscheint oder wer einen Thriller erwartet hat, wird von dem zweiten Roman von Stephen Chbosky schwer überrascht, denn die Geschichte entwickelt sich von einem fiktiven Roman hin zum blanken Horror - oder auch dem immerwährenden Märchen und dem Kampf zwischen Gut und Böse.

Langsam und bedächtig, doch mit einer großen Sprachgewalt, baut der Autor den Plot auf und überzeugt mit seinen bildgewaltigen Darstellungen, die beim Leser starke Gefühle auslösen. Manches Mal hätte ich mir gewünscht, das Buch hätte nicht mehr als 900 Seiten, denn ich wollte endlich die Auflösung erfahren und wieder aufatmen können!
Im letzten Abschnitt ändert sich der Stil dann aber völlig: Die Ereignisse überschlagen sich, ständig gibt es neue Wendungen und der Leser wird in ein Wechselbad der Gefühle geworfen, in dem bald nicht mehr klar ist, wer gut und böse ist und wem man noch trauen kann. Von einer realen Umwelt gleitet die Geschichte immer mehr ab in eine phantasiehafte Märchenwelt , in der volle Konzentration gefordert war, um nicht den FAden zu verlieren.

Das Ende selbst ist durch den klaren (positiven) Ausgang von Christophers Abenteuer befriedigend, in dem sich auch alle vorher offenen Fragen lösen und zu einem großen Ganzen verbinden, bleibt aber im immerwährenden Kampf offen, was mir gut gefällt.

Wie bereits angesprochen, gelingt es Chbosky, eine durchgängig hohe Spannungskurve durchzuhalten, die das Buch - trotz seiner Dicke - zu einem wahren Pageturner macht.

Obwohl Christopher natürlich die eigentliche Hauptperson des Romans ist, werden immer wieder andere Personen in den Mittelpunkt der Handlung gestellt, so dass der Leser ein umfassendes Bild erhält und durch den Perspektivwechsel gut die verschiedenen Charaktere und ihre Gefühle und Handlungen nachvollziehen kann.

Die Protagonisten sind authentisch, mehrdimensional und mit großer Empathie und viel Liebe beschrieben. Sie sind für den Leser nicht nur gut vorstellbar, sondern man glaubt schon bald, ein weiterer Einwohner von Mill Grove zu sein, der am Kleinstadtleben teilnimmt. Allerdings scheint mir Christopher ein bisschen ZU reif für seine sieben Jahre zu sein.

Der Wandel einer fast banalen Handlung hin zum überraschend Bösen, von einer fast realen Umwelt hin zum blanken Horror, erinnert an Stephen Kings beste Zeiten. Fans des Genres kommen bei "Der unsichtbare Freund" voll auf ihre Kosten!