Rezension

Wer ist gut, wer ist böse?

M Eine Stadt sucht einen Mörder
von Jon J. Muth

Bewertet mit 5 Sternen

»… Aber ich… kann ich denn anders?«

Ein grausamer Serienmörder treibt sein Unwesen, schon acht Kinder sind ihm zum Opfer gefallen. Die Polizei ist nicht untätig, durchkämmt stetig Bars, Kneipen und Rotlichtviertel. Sehr zum Ärger der örtlichen Unterwelt, die durch die ständigen Razzien hohe Einnahmeverluste hat. Und da man sich nicht auf die Polizei verlassen will, beschließt man, die Jagd auf den Kindermörder selbst in die Hand zu nehmen.

 

Von Zeit zu Zeit nehme ich eine Graphic Novel zur Hand, wobei mich die Bilder auf den ersten Blick ansprechen müssen. Dies war bei dieser Novel der Fall. Jon J. Muth hat zwei Jahre an diesem Buch gezeichnet und für mein Empfinden hat sich diese Mühe gelohnt. Düstere schwarz-weiß Bilder dominieren, für die ebensolche Fotos als Grundlage für die Skizzen dienten. An dieser Stelle gleich der Hinweis für alle Fans des Filmklassikers: Hier finden sich nicht die originalen Filmszenen. Für besagte Fotos wurden Szenen nachgestellt und die Fotos wurden in Amerika gemacht, was man an einigen Stellen sieht, mich aber nicht gestört hat. Die Handlung müsste ja auch nicht unbedingt in Berlin spielen, die Ereignisse lassen sich auf alle möglichen Schauplätze übertragen. Filmfans müssten versuchen, sich von der Vorlage zu lösen und das Buch als etwas Eigenes zu betrachten.

 

Für mich entwickelte sich von der ersten Seite an eine starke Sogwirkung. Die ausdrucksstarken Bilder bauten eine beängstigende Atmosphäre auf, sorgten stetig mit kleinen Details für Spannung. Da verfolgt man spielende Kinder, sieht eine auf die Heimkehr ihres Kindes wartende Mutter, sieht ihren Blick zur Uhr – und dann den Schatten eines Mannes. Gänsehaut! Eins ist beim Lesen dieser Novel wichtig: Man muss sie langsam lesen. Nur so entfaltet sich die Faszination der Einzelbilder und liest man die Bilder (und Texte) zu schnell, entgeht einem leicht so manches.

 

Auch die Story hat es in sich. Die Morde lassen in der Bevölkerung Panik aufkommen, diese führt zu vielfältigen Denunziationen und falschen Beschuldigungen. Leicht bildet sich ein Lynch-Mob und dieselben Menschen, mit denen man gerade noch Mitgefühl hatte, lösen beim Leser nun Abscheu aus.

Als Leser hat man es hier nicht leicht. Natürlich leidet man mit den Kindern und Eltern, aber der Täter, geplagt von Visionen, wird mehr und mehr selbst zum Opfer. Das ist sehr irritierend, man schwankt beim Lesen ständig mit seinen Gefühlen. Da ist der Wunsch nach Gerechtigkeit, womöglich nach Rache für die ermordeten Kinder. Dann wieder kommt glatt so etwas wie Mitleid auf. Nicht einfach! Täter und Opfer, Gut und Böse, sind schwer zu unterscheiden. Auch hier gilt: genau hinsehen! Denn es soll gar nicht so eindeutig sein, wer auf der guten und wer auf der bösen Seite steht.

 

Das umfangreiche Vorwort ist ebenfalls lesenswert, es berichtet unter anderem über den „schwarzen Mann“ unserer Kindheit, über Fritz Lang und seine Filme und stellt einen Vergleich der künstlerischen Mittel an.

 

Fazit: Wer ist gut, wer ist böse? Höchst ausdrucksstarke Bilder und eine Story, die nachdenklich macht. Unbedingt langsam lesen!