Rezension

Wer ist schuld an Jacobs Tod?

Meine Seele so kalt
von Clare Mackintosh

Bewertet mit 5 Sternen

Der Psychothriller "Meine Seele so kalt" (im Original: I let you go) von Clare Mackintosh beginnt mit einem dramatischen Prolog. Der fünfjährige Jacob ist mit seiner Mutter auf dem Nachhauseweg. Er reißt sich los, um die letzten Meter nach Hause zu rennen. Sekunden später ist er tot; von einem Auto überfahren, dessen Fahrer kurz zurücksetzt, wendet und vom Unfallort flieht.

Detective Inspector Ray Stevens und Kate Evans, die gerade vom Streifendienst zur Kriminalpolizei gewechselt ist, ermitteln mit Hochdruck, können jedoch keine Erfolge verzeichnen. Sie haben sich geschworen, dass der Tod von Jacob nicht ungesühnt bleiben darf. In einem weiteren Erzählstrang begegnet der Leser einer noch namenlosen jungen Frau, die sich später Jenna Gray nennt. Sie trauert um ihr verlorenes Kind, und die Schuld am Tod von Jacob lastet schwer auf ihr. Überall verfolgen sie die aktuellen Nachrichten. Die ganze Stadt ist erschüttert und nur sie allein weiß, dass alles noch tausend Mal schlimmer ist, als alle glauben (S. 29). Mit ein paar Habseligkeiten flieht sie aus Bristol und mietet in dem kleinen Örtchen Penfach an der walisischen Küste ein altes, fast schon baufälliges Cottage. Innerhalb einer Sekunde hat sich ihr Leben verändert, sie wird von ihren Ängsten verfolgt, ihrer Trauer und den Erinnerungen an diese schreckliche Nacht im November in Bristol. Albträume plagen sie. "Seit Wochen werde ich mehrmals in der Nacht vom Geräusch des Aufpralls eines kleinen Körpers auf der Stoßstange geweckt und von meinem eigenen hilflosen Schrei, der durch die Luft fliegt und auf die nasse Straße fällt. (S. 69) Und es gibt noch mehr Schicksalsschläge in ihrem Leben, deren Ausmaß für den Leser anfangs so nicht erkennbar ist. Nach Monaten erfolgloser Ermittlungsarbeit wird die Akte geschlossen.  Ray, dessen Beförderung ansteht und die er dringend braucht, um seiner Frau Mag und seinen beiden Kindern eine bessere Zukunft zu sichern, lässt Kate in ihrer Freizeit heimlich weiter ermitteln. Nach gut einem Jahr gibt es einen entscheidenden Hinweis, und die Ereignisse beginnen sich zu überschlagen.

Clare Mackintosh überzeugt mit ihrem Debütroman "Meine Seele so kalt". Sie war  zwölf Jahre bei der britischen Polizei und hat sich von einem wahren Fall inspirieren lassen, an dem sie selbst mitgearbeitet hat. Durch ihre eigenen Erfahrungen ist die Ermittlungsarbeit der Polizei sehr realitätsnah dargestellt. Jennas Geschichte erfährt der Leser aus der Ich-Perspektive, über die Ermittlungen der Polizei berichtet ein sachkundiger Erzähler. Etwas später kommt eine weitere Person ins Spiel, die dem Leser, gleichfalls aus der Ich-Perspektive, seine Sicht der Dinge aufzeigt. Der Roman ist in zwei Teile aufgeteilt, wobei der erste Teil einem Schicksalsroman ähnelt. Der zweite Teil zeigt die erschreckenden Abgründe der menschlichen Seele  auf und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema häusliche Gewalt. Am Ende werden alle Puzzleteilchen zusammengesetzt und der Leser mit einem unvorhersehbaren Finale überrascht. Und es gibt Hoffnung für die Protagonisten, die dem Leser ans Herz gewachsen sind. Clare Mackintoshs Debütroman stand wochenlang auf der Bestsellerliste der Sunday Times und verkaufte sich allein in Großbritannien über 400.000 mal. Ich wurde ausgesprochen gut unterhalten.