Rezension

"Wer Liebe ernten möchte, sollte Vertrauen säen." (Jeremias Gotthelf)

Die hinreißende Lady Charlotte - Carolyn Miller

Die hinreißende Lady Charlotte
von Carolyn Miller

Bewertet mit 5 Sternen

1814. Lady Charlotte Exeter hat lange dem Augenblick entgegengefiebert, in die Gesellschaft eingeführt zu werden. Endlich ist es soweit und nach ihrem Defilee bei der Queen kann sie sich vor Verehrern nicht retten, die ihr den Hof machen. Charlotte, die von der großen Liebe träumt und sich auch schnell in Lord Markham verguckt hat, wird allerdings schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn ihre Eltern haben Größeres mit ihr vor, da passt ein Mann mit zweifelhaftem Ruf nicht ins Konzept. Vielmehr fällt ihre Wahl auf den gerade verwitweten und wohlhabenden Herzog William Hartwell, der Charlottes Zukunft und die der Familie sichern soll. Hartwell selbst ist durch seine erste Ehe gebeutelt, ihm fällt es schwer, überhaupt jemandem zu vertrauen. Warum sollte ausgerechnet die wunderschöne Lady Charlotte sein Herz erhören?

Carolyn Miller entführt den Leser mit „Die hinreißende Lady Charlotte“ nach „Die unnahbare Miss Ellison“ erneut ins Regency-Zeitalter Englands. Der Schreibstil ist flüssig, bildhaft und voller Gefühl, so gelingt das Abtauchen in die damalige Zeit wie von selbst, der Leser findet sich an der Seite Charlottes wieder, deren Gefühle und Gedanken wie ein offenes Buch vor ihm liegen. Die Autorin lässt die gesellschaftlichen Strukturen sowie die damalige Denkweise wunderbar in ihre Handlung einfließen. Die Erwartungen an eine adlige junge Frau werden sehr gut transportiert, so ist es ihr meist nicht gestattet, den Ehemann selbst zu wählen, sondern sich den Anforderungen ihrer Familie zu fügen, die sie meistbietend an den Mann bringen will. Die Handlung wird zwar in der dritten Person erzählt, doch die Autorin gewährt dem Leser nicht nur Einblick in Charlottes Denkweise, sondern öffnet auch die Tür zum Inneren des Herzogs Hartwell. Die Zerrissenheit beider Protagonisten und deren Gegensätze werden so wunderbar und nachvollziehbar aufgezeigt. Durch die damaligen Benimmregeln erkennt der Leser, dass beide oftmals aneinander vorbei reden, da eine offene Aussprache tabu ist. Mit unerwarteten Wendungen steigert die Autorin zudem die Spannung ihrer Geschichte immer weiter in die Höhe. Auch der christliche Aspekt spielt in diesem Roman eine große Rolle. Die stillen kleinen Ansprachen und die Hilferufe zu Gott sind immer den Situationen angepasst, wirken natürlich und genau richtig. Alles dreht sich um Vertrauen zu Gott und zueinander, aber auch die Kraft zu Verzeihen spielt eine nicht unwichtige Rolle.

Die Charaktere sind mit Leben erfüllt und entspringen der Geschichte geradezu. Sie sind nicht nur individuell in ihren Wesenszügen, sondern realistisch und glaubhaft, was es dem Leser leicht macht, mit ihnen zu fühlen und ihnen zu folgen. Charlotte ist eine sehr junge Frau, die zu Beginn der Handlung noch sehr naiv und wie ein Teenager wirkt. Sie träumt von der großen Liebe und für sie ist es vor allem wichtig, dass man ihr Komplimente macht. Das mag zwar oberflächlich wirken, doch ist es in dem Alter wohl gut fürs Selbstbewusstsein, zumal ihre Mutter eine herrische und recht gefühllos wirkende Person ist, der sie nie etwas recht machen kann. Doch je weiter die Geschichte vordringt, umso ernsthafter wird Charlotte, hinterfragt die Dinge und beobachtet genau, vor allem ihre liebe Freundin Lavinia, die in ihrem Ehemann gegen alle Widrigkeiten den Partner fürs Leben gefunden hat. William ist ein Mann, der betrogen und hintergangen wurde. Da fällt es natürlich schwer, wieder Vertrauen zu fassen, zumal auch sein Selbstbewusstsein nicht nur von seiner ersten Ehefrau gestört wurde, sondern auch von seinen Eltern. Die einzige, die ihn zu schützen sucht, ist seine Schwester Cressida, die allerdings nicht gerade eine gute Figur abgibt. Aber auch William lernt wieder, anderen Vertrauen entgegen zu bringen. Er ist ein fürsorglicher Mann mit einer besonderen Beobachtungsgabe, dem Gerechtigkeit und Ehrlichkeit das höchste Gut sind. Ebenso bringen die Nebendarsteller wie Henry, Marie oder Lord Markham einiges an Spannung mit in die Handlung.

„Die hinreißende Lady Charlotte“ ist ein wundervoller Roman mit historischem Hintergrund, der eine komplizierte Liebesgeschichte mit Spannungselementen vereint, den Leser während der Lektüre in eine andere Zeit katapultiert und einen wahren Film vor seinen Augen ablaufen lässt. Wer „Stolz und Vorurteil“ liebt, der ist hier genau richtig. Absolute Leseempfehlung!