Rezension

Wer will schon Mutter sein!?

Das Weiße Schloss - Christian Dittloff

Das Weiße Schloss
von Christian Dittloff

Bewertet mit 4 Sternen

Hier haben mich Klappentext und Cover direkt unglaublich neugierig gemacht! Das weiße Schloss in dem Berufsmütter die Kinder anderer Leute austragen und aufziehen hat einen wunderbar dystopischen Touch. Und von einem Paar zu lesen, das diese Möglichkeit für sich in Anspruch nimmt, klang ebenfalls sehr interessant. Nach dem lesen kann ich sagen, dass ich zwar einige Kritikpunkte habe aber dass ich schon lange nicht mehr so intensiv über eine Geschichte nachgedacht habe. Auch habe ich mir lange nicht mehr so viele Notizen gemacht und Stellen markiert. Aber erstmal zur Geschichte:

Wir begleiten Ada und Yves, die sich dafür entschieden haben, ihr Kind mithilfe des Weißen Schlosses zu bekommen. Die beiden führen eine sehr intensive Beziehung. Er ist Künstler, sie eine absolute Genießerin. Beiden Leben im hier und jetzt, rauchen, trinken, feiern gerne, haben sooft es geht Sex, kochen exotische Gerichte, haben Geld und ein schönes Haus. Sie leben ihr Leben in vollen Zügen, genießen es auszuschlafen und tun und lassen zu können was ihnen gerade in den Sinn kommt. Da passt ein Kind natürlich nicht rein. Zu groß die Gefahr, den hohen Lebensstandart zu verlieren. Oder die Nähe zum Partner. Also haben sie sich für das Weiße Schloß entschieden. Ehrlich gesagt, waren mir die beiden – insbesondere Ada – eher unsympathisch. Sie sind einfach zu cool, zu hip, etwas zu überheblich und zu glatt. Ihr einziges Problem ist die Frage, ob die Entscheidung für das Kind die richtige war.

Ada hat einen sehr interessanten Job, der darin besteht, bestimmten Menschen ins Land zu holen, die der Gesellschaft des Landes dienen. Auf die Einreise wird sich beworben und Ada versuchte die Nützlichkeit der Bewerber zu eruieren. Ist die Prognose gut, dürfen sie einreisen. Über diese Tätigkeit und über das Land, das sich diesen Kniff ausgedacht hat, hätte ich gerne mehr erfahren. Die Mischung aus Normalität und futuristischen Details hat mir gefallen, kam aber sehr kurz.

Sehr schade fand ich, dass die Idee von Weißen Schloss nicht intensiver verfolgt wurde. Ja, es war da, als Institution, aber ich hätte furchtbar gerne einen internen Blick hinter die Kulissen gehabt. Eine Mutter die erzählt wie es ist ein eigentlich fremdes Kind aufzuziehen. Warum sie diesen Beruf gewählt hat. Ob man es überhaupt als Beruf sehen kann, wie es den Kinder dabei geht, dass einmal im Monat Menschen kommen, die sich Eltern nennen. Verstehen sie dieses Konzept überhaupt? Und wie kann ich ein Kind das ich ausgetragen, geboren und aufgezogen habe nicht mein eigenes nennen? Die Frage der sozialen Elternschaft gegenüber der natürlichen kommt hier insgesamt zu kurz. Dabei wird über die Frage der Elternschaft und ihre Umsetzung tatsächlich sehr viel nachgedacht. Nur eben allgemeiner und nicht nur auf das Schloss bezogen. So fragt sich Yves, als er eine Schwangerschaftapp benutzt berechtigterweise welche der beiden Frauen er als Mutter eintragen soll. Die biologische oder die, die tatsächlich schwanger ist. Er entscheidet sich bezeichnenderweise für die Schwangere.

Was einem sehr seltsamen Eindruck machte: Es gibt hier keine einzige normale, funktionierende Famile. Adas Schwester mit ihren drei Kindern schreibt ständig Sms von ihrer Überforderung, Dammrissen und Kinderkotze. Die Nachbarn, die ganz klassisch ein Kindermädchen zur Betreuung angestellt haben, schlittern in eine Katastrophe. (Langweiler sind die beiden noch dazu. Was sonst?) Und ob das Modell des Weißen Schlosses für Eltern, Kinder und Berufsmütter tatsächlich funktioniert erfährt man nicht genau.

Auch die vielen Kinder- oder Mütterfeindlichen Aussagen haben mich irritiert. Da sind junge Frauen, die wegen Karriere, Beziehung, ihrer Lebensgestaltung oder einem höheren gesellschaftlichen Ziel an dem sie arbeiten keine Kinder wollen. Das ist ja soweit ok, aber es geht noch weiter: Muttersein wird – außer es geschieht gegen Bezahlung und manchmal auch dann – mit Verlust der eigenen Freiheit gleichgesetzt. Kinder stören nur, machen Dreck, Lärm und Chaos, sind egoistische kleine Zeitfresser. Mütter gelten als isoliert, kennen nur noch andere Mütter. Ständig wird gezweifelt ob die Entscheidung für ein Kind – egal ob selbst oder von jemand anderem großgezogen - tatsächlich die Richtige ist. Selbst die Chefin traut ihren künftigen Mitarbeiterinnen nicht zu, Beruf und Mutterschaft zu vereinen. Eine Mutter, die in den Beruf zurückkehren will, wird wie folgt beschrieben:
„Die werde doch nur die alten Strukturen wiederherstellen wollen, werde nur ihr Kind im Sinn haben und das Büro mit Familienfotos zumüllen.“ - S. 217
Ich denke, hinter diesen Aussagen steckt viel Absicht, viel Provokation. Und es wirkt auch! Obwohl ich Kinderlos bin und keines in Planung habe, fühlte ich mich angegriffen. Recht einseitig wirkte diese Darstellung auf Dauer aber dennoch.

Dann war es nett gemacht, wie in verschiedenen Rückblicken wissenschaftliche Entdeckungen im Bezug auf die Fortpflanzung beschrieben wurde. Wie genau der Ablauf einer Schwangerschaft beschrieben wird. Oder wie im Kontrast zum Rest des Buches auf die neue Rolle der liebenden Mutter der späten 1800er Jahre eingegangen wurde. Wurden die Kinder doch erst ein paar Jahrzehnte früher als noch unfertige Menschen an eine Amme abgeschoben.

Oha, ich sehe schon, ich könnte einen Roman über diesen Roman schreiben. Ich versuche mich kurz zu fassen: Ich denke Dittloff hat die Provokationen im seinem Roman sehr genau kalkuliert. Er hat ein sehr kluges und auch unterhaltsames Buch geschrieben. Trotzdem hatte ich insgesamt das Gefühl, das Buch kratz zu sehr an der Oberfläche und konzentriert sich mehr auf die immer gleiche Beziehungsgeschichte als die innovativen Ideen weiter zu verfolgen, die hier definitiv drin stecken. Wer etwas zum drüber nachgrübeln sucht, das durchaus unbequeme Meinungen vertritt sollte es mit dem Weißen Schloß auf jeden Fall einmal versuchen. Für Leserunden oder -zirkel kann ich mir keinen besseren Diskussionsstoff denken! Und auch wenn ich viel meckere, hat es mich doch irgendwie gekriegt...

„Es wäre nicht mehr mein Kind“ fuhr sie stiller fort, „wenn eine anderes es vollendete.“ - S. 201