Rezension

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten." (S. 255)

Die Spiegelreisende - Christelle Dabos

Die Spiegelreisende
von Christelle Dabos

Bewertet mit 5 Sternen

Eine spannende Geschichte. Eine empathische, furchtlos-neugierige Protagonistin. Nachdenklich stimmende Kritik... Absolut Lesenswert!!

Wenn man nur flüchtig auf das Cover blickt, könnte man fast denken, das sich das Bild, die Arche darauf, gar nicht ändert, sondern nur die Farbe des Covers allgemein. Denn auch auf den vorherigen zwei Bänden ist immer eine Arche abgebildet bzw. ein Teil davon, die der Haupthandlungsort der Geschichte werden wird.
Doch eine Arche? Was soll das überhaupt sein?

In dieser Fantasyreihe von Christelle Dabos wurde die Welt zerrissen. Nur Bruchstücke, sogenannte Archen, sind zurückgeblieben, die von den Familiengeistern regiert werden. Je nach Familiengeist haben die dort lebenden Menschen auch unterschliedliche Fährigkeiten, sodass Ophelia, als sie nun nach Babel reist, eine seltene Fährigkeit als Leserin hat. Sie hat die Möglichkeit ergriffen, Anima zu verlassen und nun nach Thron zu suchen, von dem sie seit dessen Flucht nichts mehr gehört hat..
Umgeben von unbekannten Regeln, Zensoren und Virtuosen begibt sich sich auf die Suche, obwohl sie gar nicht weiß, wonach genau sie sucht. Nur eins erkennt sie recht schnell: um Thorn zu helfen, den Anderen aufzuhalten und zu sich selbst zu finden, ist vielleicht nur "die letzte Wahrheit" der richtige Schlüssel...

Gleich zu Beginn des Buches findet sich nicht nur wieder eine sehr schöne Karte, die alle Windrosen zwischen den Archen zeigt, sondern auch eine kleine Zusammenfassung, die es einem erleichtert, sich die vorherigen Ereignisse in Erinnerung zu rufen und so problemlos in die Geschichte einzusteigen. Einzig für Neulinge könnte diese etwas zu kurz sein, sodass ich empfehlen würde, immer zuerst die vorherigen Bücher zu lesen, um nicht vor lauter Fragen, die Lust am Lesen zu verlieren.

Ophelia kehrt hier so wieder, wie wir sie bereits kennengelernt haben: tollpatschig, liebenswürdig, ehrlich und nicht zuletzt auch unglaublich neugierig. Egal welches Hindernis sich ihr in den Weg stellt, um Wissen zu erlangen, ist ihr keine Hürde zu umständlich. Dabei beweist sie aber auch einen Gleichmut, der bei mir nur Staunen hervorgerufen hat. Sie erkennt, wenn eine Situation zu verfahren ist, um andere durch die Wahrheit zu überzeugen. Dabei fügt  sich sich aber nicht kampflos in ihr Schickal, sondern ist so objektiv und ehrlich zu sich selbst, dass sie ihren inneren Widerstand zur rechten Zeit in Tatendrang transformiert. Da man aber nie weiß, wann sich die Gelegenheit dafür bietet und wie andere reagieren, ist es unglaublich spannend, Ophelia auf ihrem Weg zu begleiten.

Ich hätte auch nie gedacht, wie interessant ich es finden würde, diese neue Welt, die Arche Babel, zu erkunden. Kurz zeigt sich da auch die Kritik an unserer Gesellschaft, da man nur durch Äußerlichkeiten und die einem vererbten Gaben einer bestimmten Schicht zugeordnet wird. Man verbietet kriegerisches Vokabular und ersetzt dieses durch Euphemismen, auf das alles vergangene in Vergessenheit gerät und darum Frieden einkehren kann. Diese Illusion, die wir hier finden, sollte uns in unserem Alltag die Augen öffnen, uns sensibilisieren und nicht alles einfach nur hinnehmen lassen.

"Denk selbst nach, kleiner dummer Mensch, anstatt stumpf zu wiederholen, was man die vorsagt!" S. 250

Aber neben Ophelias neuem Antrieb hat auch Archibald eine neue Leidenschaft für sich entdeckt. Er ist fest entschlossen Erdenbogen, eine verborgene Arche, zu finden, sodass die Geschichte auch durch Perspektivwechsel aufgelockert wird, die einem Berenildes Situation zeigen. Dadurch ist ein Kapitel fesselnder als das andere und man kommt gar nicht umhin, die Zeit zu vergessen. Doch gerade diese Eigenschaft ist auch dem Schreibstil der Autorin geschuldet, da dieser zwar nüchtern scheint, letztlich aber von verschiedenen Emotionen durchdrungen ist, sodass man in die Figuren quasi "hineingesogen" wird. Man fühlt mir den Figuren mit, entwickelt Verständnis für ihr Handeln und möchte am Ende des Buches gerne bei ihnen, in ihrer Welt, verweilen.

Ich denke darum, dass 5 Sterne als Bewertung dem Buch fast gar nicht gerecht werden.. Erst im Nachhinein erkennt man, wie tiefgründig manche Darstellungen sind, sodass sicher erst nach mehrmaligem Lesen jede Facette der Geschichte entdeckt werden kann.

Eine fesselnde, nachdenklich stimmende und mitreißende Geschichte, die man einfach gelesen haben muss!