Rezension

Werde ich nicht so schnell vergessen

Grenzgänger - Mechtild Borrmann

Grenzgänger
von Mechtild Borrmann

Bewertet mit 5 Sternen

In Velda, einem kleinen Eifeldorf nahe der belgischen Grenze, gehen etliche Dorfbewohner, darunter auch Kinder in den ersten Nachkriegsjahren schmuggeln. Als bei Familie Schöning das Geld knapp ist, weil der Vater durch seine Kriegserlebnisse nicht mehr arbeiten gehen kann und die Mutter plötzlich verstirbt, steigt auch die 14-jährige Henni Schöning in den Kaffeeschmuggel ein. Der Vater darf dies jedoch nicht erfahren, da er den Kindern bereits mit dem Heim gedroht hat. Doch als die Kontrollen an der Grenze stärker werden, wird Hennis Schwester bei einer Schmuggeltour erschossen. Das „kriminelle“ Mädchen muss in eine Besserungsanstalt, der überforderte Vater gibt die beiden verbliebenen Söhne in ein Kinderheim, das von Ordensschwestern geführt wird. Der Leidensweg der Geschwister ist damit noch nicht zu Ende. Henni wird als Erwachsene schließlich des zweifachen Mordes verdächtigt.

 

Auf nur knapp 290 Seiten konnte die Autorin Mechtild Borrmann mich mit dieser erschütternden Erzählung der „Grenzgänger“ schnell fesseln. Beim Lesen musste ich mich zwischenzeitlich sogar fragen, ob das alles erfunden ist oder nach einem realen Fall geschildert wurde. Aber selbst wenn die Autorin alle Figuren erfunden hat, die Ereignisse, die geschildert werden, hätten realer nicht sein können. Der Schmuggel in grenznahen Regionen blühte nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass auch Kinder mitmachten, ist plausibel. Ich komme aus der Eifel, wohne zwar weiter südlich als die hier beschriebene Region um Monschau, doch ich war bereits im Hohen Venn und konnte mir beim Lesen alles gut vor Augen rufen.

Wirklich erschütternd wurde es dann, als es um die seelische und physische Gewalt ging, die Hennis Brüder im Kinderheim erleben mussten. Auch die grausamen Erziehungsmethoden in Heimen aus der Anfangszeit der Bundesrepublik, auch unter kirchlicher Trägerschaft, sind mittlerweile öffentlich bekannt. Mechtild Borrmann hat aus diesen zwei Aspekten eine fesselnde Handlung entworfen. Dazu noch die Armut, der lieblose und seelisch kranke Vater, der verlogene Pfarrer...

 

Ich fand es gut, wie sich das Bild von Henni und der Familie aus verschiedenen Perspektiven zusammensetzt. So erzählen auch ihre Freundin aus dem Dorf und das ehemalige Heimkind Thomas die Geschehnisse. Die psychischen Narben, die das Heim noch bei einem Erwachsenen hinterlassen hat, haben mich besonders erschüttert. Die Ungerechtigkeit, der Henni aufgrund ihrer „kriminellen“ Vergangenheit begegnet, ist unfassbar. Und doch war es so bis in die 1970er Jahre. Ich denke, dass mir die Handlung von „Grenzgänger“ noch einige Zeit durch den Kopf gehen wird. Verdiente fünf Sterne.