Rezension

WG mit der "kleinen Oma"

Mein Leben mit Martha - Martina Bergmann

Mein Leben mit Martha
von Martina Bergmann

Bewertet mit 4.5 Sternen

Heinrich war eine Art Lieblingsmensch im Leben der Buchhändlerin Martina Bergmann. Als Heinrich in hohem Alter schwer erkrankt, kümmert sich Bergmann zunächst um ihn und seine Lebensgefährtin Martha, nach seinem Tod um die demente Martha. Sie befinde sich „in poetischer Verfassung“ beschrieb Heinrich Marthas Demenz taktvoll. Martha sei nicht dumm, nur verschaltet, betonte er.  Heinrich konnte offensichtlich erst sterben, als er Martha versorgt wusste.

Martina Bergmann ist offenbar eine Persönlichkeit, die von anderen Menschen sofort als „Chef“ angesprochen wird. Martha, die mit 40 ein Studium aufgenommen und mit 50 promoviert hat, ist dagegen überzeugt, dass sie älter und erfahrener ist als Bergmann. Schließlich hat sie junge Frauen bisher für den Feminismus sensibilisiert, daran erinnert sie sich noch lebhaft.  Martha ist zwar extrem vergesslich, aber sie kann andere Menschen einschätzen, sich durchsetzen und weiß genau, was ihr guttut. Sich nicht darüber aufregen, dass manche Menschen ihre Wertgegenstände und ihre Rosenschere im Kühlschrank aufheben, das kann und muss man als betroffener Angehöriger oder Betreuer hier von Martha und Martina lernen.  Wer das nicht schafft, wird an der Aufgabe scheitern.

Wie soll eine junge Geschäftsfrau ihren Beruf und die Versorgung einer dementen Patientin miteinander vereinbaren, die darüber hinaus keine Angehörige ist? Das Arrangement funktioniert vielleicht gerade deshalb, weil Bergmann nicht Marthas Familienangehörige ist. Sie verschwendet keine Zeit damit, Marthas Vergesslichkeit zu beklagen, sondern organisiert ihren Alltag als Berufstätige mit „kleiner Oma“. Das bedeutet zunächst eine Behörden-Odyssee zwischen Vormundschaftsgericht, sozialpsychiatrischem Dienst und Berufsbetreuer. Für Angehörige kann es die Hölle sein, wenn Dienste und Helfer sich eifersüchtig belauern und gegenseitig lähmen. Zum Glück haben Bergmanns Mitspieler im Team Martha Erfahrung mit Demenz und gehen mit dem Problem ebenso souverän um, als hätte Martha nur Probleme mit dem Knie. Wie leicht die Zusammenarbeit in einem Betreuungs-Team aus dem Gleichgewicht zu bringen sein kann, wurde mir hier deutlich – und ich kann die beteiligten Experten nicht genug anerkennen für ihre bodenständige Haltung  gegenüber Marthas Erkrankung.

Martina Bergmann schreibt in einzigartig respektvollem, liebenswürdigem und dabei trockenem Ton den biografischen Roman einer Frauen-WG, von dem jeder Leser profitieren kann – bevor man als Angehöriger eines Erkrankten selbst betroffen ist und auch noch nachher.