Rezension

Wichtige und schockierende Lektüre, die ich jedem ans Herz legen kann – sie wird dich noch bis weit nach dem Ende fesseln.

Ich gehöre ihm - Angela Gilges

Ich gehöre ihm
von Angela Gilges

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich bei dieser Rezension anfangen soll: Im Februar erschien im Oetinger Taschenbuchverlag ein Buch, das meiner Meinung nach viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat – ein Buch, das mich vollkommen überrumpelt hat und auf dessen Wucht ich nicht gefasst war. So ist diese Rezension weniger eine kritische Bewertung als vielmehr eine Buchempfehlung anzusehen. „Ich gehöre ihm“ von Angela Gilges widmet sich wichtigen Tabuthemen wie sexueller Gewalt und Zwangsprostitution und gibt Betroffenen eine Stimme.

 

Die Autorin hat einen mitreißenden, sehr direkten Schreibstil; sie redet nicht lang „um den heißen Brei herum“, würde man im Volksmund vermutlich sagen. Allein der beklemmende Prolog zieht sofort jegliche Aufmerksamkeit des Lesers an sich und lässt ihn bis zum letzten Kapitel, der letzten Seite, dem letzten Wort nicht mehr los – ja, ich habe die Lektüre an einem einzigen Abend ausgelesen.

 

Mit Caro etabliert sie eine junge greifbare Protagonistin, die aus dem echten Leben hätte stammen können, so realistisch entwirft die Autorin das Bild ihrer Hauptfigur. Die charakterliche Ausarbeitung in diesem Roman ist außerordentlich gut gelungen. Zwar ist das Figurenensemble zahlenmäßig stark reduziert; Gilges haucht jedoch jedem Individuum genau das richtige Maß an Tiefe ein, sodass jedwede Motive nachvollziehbar erscheinen.  

 

Vor allem aber die Beziehung zwischen Caro und Nick, die hier die tragende Rolle erfährt, wird so plastisch dargestellt, dass ihr verzweifeltes Klammern an (un)erfüllte Wünsche verständlich ist: Sie, und das muss man sich unbedingt vor Augen führen, jederzeit Opfer der Umstände und keineswegs schuldig durch eigene Schwäche. Die innere Entwicklung erscheint äußerst glaubwürdig, von blindem erstem Durch-rosarote-Brille-Sehen bis zur vollständigen Abhängigkeit. Als Leser war ich gut in das Szenario involviert, habe mit den Figuren mitgefühlt und konnte mich sehr gut in die verschiedenen Rollen hineinversetzen.

 

Ihre Direktheit rechne ich der Lektüre hoch an: Sie will schockieren, möchte unter allen Umständen darauf aufmerksam machen, dass so etwas in der wahren Welt geschieht. Dabei hält sie nicht nur ein eindrucksvolles Plädoyer über die Unterdrückung und schamlose Ausnutzung junger, hilfloser Mädchen bis hin zur Zwangsprostitution auf dem Strich, sondern funktioniert auch als mitreißende Familiengeschichte, die die menschlichen Abgründe näher beleuchtet. Es wird nicht zu sehr mit moralisch erhobenem Zeigefinger erzählt. Der Perspektivwechsel im letzten Drittel des Buchs gibt einen spannenden Einblick in das Innenleben eines Außenstehenden, der in das Szenario ungewollt involviert wird. Das stetige Unterdruckstehen und die Unsicherheit über die nächsten Handlungsmöglichkeiten werden besonders gut deutlich.

 

Das Ende ist mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben – eine äußerst düstere und eindringliche Vision, die eine wichtige Geschichte geeignet abschließt. Hier wird geschickt der Bogen zum Anfang der Handlung geschlagen und  ein erschreckender Teufelskreis geschlossen, der im Kopf bleibt. Auch im direkten Vergleich zum gleichnamigen ARD-Film (den ich mir im direkten Anschluss zu Gemüte geführt habe) möchte ich die Lektüre als Leseempfehlung herausstellen: Das Buch vermittelt seine Botschaft durch mehr Härte und Bodenständigkeit und viel tieferen Einblicken in die verletzte Gefühlswelt der Figuren, als es der Film schafft.

 

„Ich gehöre ihm“ ist eine wichtige und schockierende Lektüre, die ich jedem ans Herz legen kann – sie wird dich noch bis weit nach dem Ende fesseln.