Rezension

Widerliche Faszination macht sich breit....

Runa
von Vera Buck

Bewertet mit 4 Sternen

"Die Furcht beginnt da, wo wir unwissend und hilflos sind - 

und erst an diesem Punkt sind wir bereit, 

uns voll und ganz in die Hände eines anderen zu begeben, 

der uns wissender erscheint, 

mächtiger." S. 144 f.

 

Klappentext

Paris 1884. In der neurologischen Abteilung der Salpêtrière-Klinik führt Dr. Charcot Experimente mit hysterischen Patientinnen durch. Seine Hypnosevorführungen locken Besucher aus ganz Europa an; wie ein Magier lässt der Nervenarzt die Frauen vor seinem Publikum tanzen. Dann aber wird Runa in die Anstalt eingeliefert, ein kleines Mädchen, das all seinen Behandlungsmethoden trotzt. Jori Hell, ein Schweizer Medizinstudent, wittert seine Chance, an den ersehnten Doktortitel zu gelangen, und schlägt das bis dahin Undenkbare vor. Als erster Mediziner will er den Wahnsinn aus dem Gehirn einer Patientin fortschneiden. Was er nicht ahnt: Runa hat mysteriöse Botschaften in der ganzen Stadt hinterlassen, auf die auch andere längst aufmerksam geworden sind. Und sie kennt Joris dunkelstes Geheimnis …

 

Wissenswertes zu Autorin &  Buch

Bei "Runa handelt es sich um den Debütroman der 1986 geborenen Autorin Vera Buck. Nach zahlreichen Studienabschlüssen lebt und arbeitet sie heute in Zürich. 

2015 wurde 'RUNA' zum "Buch des Monats September" bei Thalia ausgezeichnet, gewann bei lovelybooks.de den Lesepreis 2015 in Bronze und ist momentan für den "Friedrich-Grauser-Preis 2016" nominiert.
 

Cover

Das Cover erscheint auf den ersten Blick recht schlicht, jedoch wurden einige Elemente des Romans mit eingebunden, die mir erst nach Beendigung des Buches aufgefallen sind. Da wären zunächst die Tropfen, deren Bedeutung man tatsächlich erst gegen Ende des Romans versteht. Weiterhin sieht man in dem größten Tropfen die Spiegelung eines kleinen Mädchen, welches sicherlich Runa darstellen soll.

Der Hintergrund wirkt wie zerschlissenes Pergament und rundet das das Gesamtbild sehr schön ab. Ich liebe dieses Cover, da es nicht direkt mit der Tür ins Haus fällt und meiner Meinung nach ebenso geheimnisvoll wie die Geschichte dahinter ist. 

Schreibstil

Da sehr viele historische Fakten in diesen Roman eingebunden wurden, möchte ich gern von einer schweren Lektüre sprechen. Trotzdem hatte ich keinerlei Probleme mit der Geschichte mitzuhalten, da der Schreibstil der Autorin dem Leser alle Informationen gut verpackt darlegt. Er ist nicht zu schwer, aber auch nicht zu einfach gehalten. Vera Buck versteht es, historische Ereignisse mit Worten aufzulockern und spannend zu gestalten. Metaphern sind in diesem Roman eher wie das Salz in der Suppe: Wenig, aber das Gesamtbild abrundend.

Die Geschichte wird hauptsächlich von einem personalen Erzähler wiedergegeben der sich allerdings nicht nur auf die Sicht Joris beschränkt, sondern auch die Geschehnisse aus dem Blickwinkel anderer Charaktere schildert. Allerdings kommt an wenigen Stellen der Ich-Erzähler zum Zug und erläutert die Geschehnisse aus Sicht einer anderen wichtigen Figur. 

 

Setting

Der Roman spielt im Jahr 1884 in Paris, wobei auch einige Rückblenden enthalten sind, die dem Leser sehr ausführliche Hintergrundinformationen des Protagonisten Jori Heller vermitteln. 

In erster Linie bewegt sich der Leser in der Salpêtrière-Klinik, einer Nervenheilanstalt, in der Jori seinen Doktortitel erwerben möchte und das sonderbare Kind Runa kennenlernt. Dieser Schauplatz strahlt die nackte Kälte aus. Er scheint ein Ort voller Angst, Neid und Hass zu sein. Man bekommt den Eindruck, dass die Patienten in dieser Anstalt weniger wert sind als Tiere und dementsprechend behandelt werden. Allein die Beschreibungen des Gebäudes und der Vorgehensweisen des Personals lassen den Leser das immense Ausmaß an Geheimnissen, Heuchelei, Betrug und Misshandlung förmlich am eigenen Leib spüren. 

Die Autorin hat das Setting meinem Empfinden nach wunderbar verpackt und mir schaurig schöne Gänsehautmomente verschafft.

 

Meine Meinung

Diese Buch hat bei mir einen Zwiespalt ausgelöst. Ich war begeistert von der Komplexität der Geschichte und konnte es überhaupt nicht fassen, wie genau die Autorin für diesen Roman recherchiert hat. Die geschilderten Ereignisse waren auf eine gruselige Art und Weise faszinieren, weshalb ich unbedingt weiterlesen musste. Die Auflösung ließ mich perplex und auch fragend zurück. Mein persönlicher Konflikt bestand allerdings darin, dass bei mir einfach keine Spannung aufkam. Ich wollte wissen, wie der Roman endet. Ich musste einfach lesen, welche perfiden Pläne hinter den Ereignissen steckten, aber gleichzeitig konnte mich die Story nicht genug fesseln, um mich dieses Buch in einem Ritt durchlesen zu lassen. Ein komischer Zwiespalt, in dem ich so bei noch keinem anderen Buch zuvor gesteckt habe. 

In der Story wirken sehr viele Charaktere mit, die jedoch so geschickt eingebunden wurden, dass es die perfekte Menge ausmachte: Nich zu wenige, sodass die Story evtl. zu flach gewirkt hätte, aber auch nicht zu viele, wodurch man sich alle Namen gut merken und zuordnen konnte.

Es war für mich erschreckend zu lesen, welche Methoden damals an Personen mit psychischen Störungen angewandt wurden und wie ein sogenannter Nervenarzt einzig und allein durch seine filmreifen Auftritte an Anerkennung und Respekt gewann. 

Joris Beweggründe so zu handeln, wie er es tat, waren für mich plausibel dargelegt. Ich empfand ihn als angenehmen Protagonisten und habe ihn zum Ende hin arg ins Herz geschlossen. Ebenso erging es mir mit den Charakteren Lecoq und Runa. 

Fazit

Eine ausführlich recherchierte Geschichte, die die Grenze zwischen Fakten und Fiktion derartig verschwimmen lässt, dass der Leser am Ende nur noch kopfschüttelnd dasitzt und hofft, dass all diese Machenschaften der Feder von Buck entsprungen und nicht wirklich passiert sind.