Rezension

Widerspiegelung einer beängstigenden Realität

Die Überlebende - Kishwar Desai

Die Überlebende
von Kishwar Desai

Durga, ein 14-jähriges Mädchen, ist die Einzige, die das Massaker an ihrer Familie überlebt. Sie ist auch diejenige, die man beschuldigt, die Morde an ihren Eltern und Brüdern begangen zu haben.
Simran Singh wird als Sozialarbeiterin an den Fall angesetzt, sie soll Durga zum Sprechen, denn diese hüllt sich nach den Morden in Schweigen.
Lange erhält sie keinen Zugang zu Durga, die sich mit Äußerungen sehr bedeckt hält, aber sie gibt nicht auf und beginnt selbst zu ermitteln.
Der Schlüssel zu allem scheint das Verschwinden von Durgas Schwester zu sein...

Es ist der erste Fall der Sozialarbeiterin Simran Singh. Sie fällt mit ihrer Lebenseinstellung aus dem Rahmen der typischen indischen Frau. Simran bestimmt selbst über ihr Leben, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die diese gern verheiratet sehen würde. Aber Simran geht ihren Weg.
Sie hat die Aufgabe übernommen, von Durga, einer Beschuldigten, die scheinbar ihre ganze Familie ermordet hat, Informationen zu erhalten, die helfen, den Tathergang zu verstehen. Es ist nicht leicht, an Durga heranzukommen, da diese dicht gemacht hat. Sie bekommt von ihr nur sporadisch Informationen, die nicht immer eindeutig zu verstehen sind.
Klarheit bekommt sie so nach und nach, nachdem sie mit Durgas Schwägerin, die in England wohnt, in Kontakt steht.
So stößt sie auch auf den Hinweis der vor Jahren verschwundenen Schwester und erfährt ungeheuerliches, was sich im Hause von Durgas Familie abspielte.

Dieser Krimi der Autorin Kishwar Desai hat mich nach der Lektüre betroffen zurückgelassen. 
Dabei empfand ich die Ermittlungen zum Mordfall als nebensächlich. Gezeichnet wird ein Bild der Frauen in Indien in der heutigen Zeit. Ein Bild, dass einen ungläubig aufschauen lässt.
Viel konnte man in der letzten Zeit über Indien und seine Frauen in der Presse erfahren. Frauen sind nichts wert, so der Konsens. Obwohl Untersuchungen mit Ultraschall während der Schwangerschaften verboten sind, werden diese vorgenommen und nach Erkennung eines Mädchens werden nicht selten die Schwangerschaften unterbrochen.
Mädchen, die doch geboren werden, lässt man einfach verhungern, gräbt sie ein, lässt sie ersticken ... Ungeheuerlichkeiten, die man sich nicht einmal ansatzweise vorstellen möchte. Jungen werden gefordert, Mädchen zwangsweise geduldet. 
In genau so einem Haushalt leben Durga und ihre Schwester, nachdem es den Eltern nicht gelungen war, sie als Babys zu "entsorgen". Da gibt es keine Momente der Elternliebe oder ein in den Arm nehmen. Mädchen, die so ein liebloses Zuhause überstehen, sind stark, aber starke Mädchen oder Frauen sind nicht gefragt. Sie ecken überall an und werden nicht für voll genommen.

Simran Singh wird von ihren Kollegen ebenfalls belächelt, aber damit nicht genug, es werden ihr bei ihren Ermittlungen auch Steine in den Weg gelegt. Aber sie verstand es schon immer, sich durchzusetzen und schafft es auch in diesem Fall.

In diesem Krimi wird nicht nur für einen Mordfall ermittelt, es wird ebenfalls versucht, Spuren zu verwischen. Aber ganz massiv wird hier dem Leser ein Blick auf eine frauenverachtende Welt gezeigt, die betroffen macht und aufrütteln soll. Ein Land, das so vehement die Rechte Einzelner verletzt, kann man nicht fortschrittlich nennen.
Ein Roman, der auf die sozialen Missstände Indiens aufmerksam macht.
Hervorragend recherchiert und beängstigend detailgenau zu Papier gebracht.