Rezension

Widerstand auf ihre Art

Sie waren Sand im Getriebe - Elisabeth Stiefel

Sie waren Sand im Getriebe
von Elisabeth Stiefel

Bewertet mit 3.5 Sternen

Dieses Buch porträtiert bekannte und weniger bekannte Frauen des Deutschen Widerstandes. Faszinierende Frauen, die es wagten, während der Nazidiktatur kritische Fragen zu stellen. Frauen, die sich mutig für die Rechte verfolgter Minderheiten einsetzten. Aber auch „stille Heldinnen“, die im Verborgenen wirkten und jüdische Mitbürger unter Einsatz ihres eigenen Lebens versteckten. Neben der Philosophin Edith Stein und der Widerstandskämpferin Corrie ten Boom porträtiert Elisabeth Stiefel die Lehrerin Elisabeth von Thadden, die Juden bei der Flucht ins Ausland half. Die Theologin Katharina Staritz setzte sich für jüdische Christen ein. Pfarrfrauen wie Elisabeth Goes, Gertrud Mörike und Johanna Stöffler nahmen in ihren Häusern Juden und andere Verfolgte auf. Gemeinsam war ihnen allen die Verankerung im christlichen Glauben, die ihr mutiges Handeln erst ermöglichte.

Im Einzelnen sind dies:

Elisabeth von Thadden, 1890 als Älteste von fünf Kindern in eine gut situierte Familie aus pommerschen Adel geboren, muss als 19-jährige nach dem Tod der Mutter ihre schulische Ausbildung unterbrechen, um das heimatliche Gut zu leiten. Im Sinne der Mutter führt sie ein offenes, gastliches und tolerantes Haus. Nach der zweiten Eheschließung des Vaters verlässt sie ihr Zuhause und arbeitet in verschiedenen sozialen Berufen. Weil ihr die Ausbildung zur Lehrerin versagt bleibt, gründet sie ihre eigene Schule in Heidelberg, ein Internat mit christlich-protestantischer Prägung, das aber auch jüdischen Mädchen offen steht. Von Schüler-Eltern denunziert zieht sie mit ihrer Schule zwar an den Starnberger See, kann aber die Schließung und Enteignung nicht verhindern. Zusammen mit Freunden hilft sie Juden bei Flucht und Ausreise, bis ein Spion in den Kreis eingeschleust wird. Elisabeth von Thadden flieht nach Frankreich, wird verhaftet und 1944 in Plötzensee hingerichtet.
Edith Stein, 1891 als elftes Kind einer jüdisch-orthodoxen Familie geboren, erwirbt eine umfassende Schul- und Universitätsbildung, zuletzt promoviert sie in Philosophie. Sie konvertiert zum Katholizismus und arbeitet als Lehrerin. Ein Brief an den Vatikan wegen der Judenprogrome bleibt ohne Antwort. Sie tritt in den Karmel in Köln ein; dennoch wird sie als gebürtige Jüdin verfolgt und flieht in die Niederlande. Zusammen mit anderen Kirchenvertretern versucht sie, gegen die Deportationen der Juden zu verhandeln. Eine Weiterflucht in die Schweiz gelingt nicht; sie wird von der Gestapo verhaftet und 1942 in Auschwitz-Birkenau in die Gaskammer geschickt.
Corrie ten Boom, 1892 geboren, wächst in Haarlem in einer Großfamilie auf. Der Vater ist Uhrmacher, und Corrie wird die erste diplomierte Uhrmacherin der Niederlande. Sie lässt sich zusätzlich als Religionslehrerin ausbilden. Zusammen mit ihrer Familie und einem Netzwerk aus Freunden gehört sie zum Kern einer Untergrundorganisation zur Rettung von Juden. Sie werden verraten, Corrie kommt nach Ravensbrück, wird aber Ende 1944 entlassen. Nach dem Krieg baut sie Zentren, an denen sich die Opfer erholen können und versucht, Opfer und Täter an einen Tisch zu bekommen. 1968 wird sie in Yad Vashem geehrt. 1977 zieht sie nach Kalifornien, wo sie 1983 stirbt.
Katharina Staritz, 1903 in Breslau als Tochter eines Gymnasialprofessors geboren, studiert als eine der ersten Frauen evangelische Theologie und promoviert; eine Ordinierung oder Übernahme einer Pfarrei ist jedoch noch nicht möglich. Sie arbeitet an verschiedenen Stellen innerhalb der Kirche, u.a. unterrichtet sie Konvertiten und kommt dadurch mit Juden (die sich zunächst durch die Konversion das Überleben erhoffen) in Kontakt. In der „Kirchlichen Hilfsstelle für evangelische Nichtarier“ verhilft sie vielen zum Untertauchen und zur Flucht. Ohne Rückendeckung durch ihre Kirchenleitung geht sie in den Untergrund, wird verhaftet und in Ravensbrück interniert. Durch Eingabe einflussreicher Freunde kommt sie „probeweise“ frei und flieht. Nach dem Krieg ist sie die erste weibliche Pfarrerin (es herrscht Mangel an Männern), doch den Titel verleiht man ihr nicht; sie bleibt Vikarin. Sie stirbt 1953.

Gemeinsam ist diesen Frauen vor allem, dass sie gebildeter waren als die meisten Frauen ihrer Zeit. Sie waren unverheiratet und besaßen eine starke Verbundenheit zu ihrem Glauben und ihrer Kirche. Was sie an schriftlichen Zeugnissen hinterlassen haben, beweist, dass sie vor allem ihren Glauben und das unerschütterliche Vertrauen zu Gott als Basis für ihren Mut und ihren Widerstand empfanden.

Als letztes Kapitel stellt die Autorin die „Pfarrhauskette“ vor. Obwohl ich schon einige Bücher über die Zeit des 2. Weltkriegs und der Judenverfolgung gelesen habe, war dieser Begriff und das, was sich dahinter verbirgt, neu: Es geht um ein Netzwerk aus den Bewohnern evangelischer Pfarrhäuser, Angestellten kirchlicher Einrichtungen und deren Freunden. Sie versteckten Juden, ganze Familien oft, und sorgten, wenn Entdeckung drohte, dafür, dass ein neues Versteck gefunden wurde. Am Beispiel des jüdischen Ehepaares Max und Karoline Krakauer, das ab August 1943 bis zum Ende des Krieges in Süddeutschland auf der Flucht war, dabei insgesamt 52 Stationen „durchlief“, wird deutlich, was es hieß, ein solches, auf Vertrauen und Hoffnung aufgebautes Gefüge zusammen zu halten. Eine beinah unfassbare Leistung aller Beteiligten.

Das Buch lässt sich gut lesen; die Kapitel sind kurz gehalten und die einzelnen Kurzbiographien durch Zeittafeln und Hinweise auf weiter führende Literatur ergänzt. Dass ein schmaler Band nur wenige Details aus den Viten schildern kann, ist klar, aber um neugierig zu werden und sich nach weiterer Literatur umzusehen, reicht es.