Rezension

Wie aus Kindern Leser und Autoren werden ...

Weit weg von Verona
von Jane Gardam

Bewertet mit 5 Sternen

Jessica Vye ist 13 Jahre alt und weiß immer, was andere Menschen denken. Zusammen mit ihrer entwaffnenden Direktheit ist das eine gefährliche Kombination. Doch wer Jessicas reichlich  schlagfertigen Vater erlebt, wundert sich über nichts; bei den Vyes fällt der Apfel offensichtlich nicht weit vom Stamm. Als die Schülerin 9 Jahre alt ist, hält kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in ihrer Schule ein Schriftsteller namens Hanger einen Vortrag darüber, wie man Autor wird. „Wir alle lieben ihre Bücher“, säuselt die Direktorin, obwohl niemand zuvor von dem Mann gehört hat. Jessica fragt sich, ob ihre Lehrerinnen überhaupt lesen können. Vom Schreiben scheinen sie zumindest keine Ahnung zu haben. Sie hat schon immer geschrieben und für sie öffnet sich mit Hangers Besuch ein Fenster zu einer anderen Welt. Mr Hanger schickt Jessica jedenfalls all ihre Texte zurück, die sie ihm am Bahnhof noch schnell in die Hand gedrückt hatte, und ermuntert sie zum Schreiben.

Als Jessica über ein Ferienerlebnis einen 47 Seiten langen Aufsatz vorlegt, erklärt ihr ihre Lehrerin Mrs Dobbs, sie hätte selbstverliebt einen belanglosen, törichten Text abgeliefert. Eine  Schülerin darf offenbar im Aufsatz nichts schreiben, was die Fantasie ihrer Lehrerin übersteigt. Die Auswirkungen des Krieges nehmen die inzwischen 13-jährigen Schülerinnen gleichmütig hin. Auf dem Schulweg haben sie ihre Gasmaske stets dabei und verbringen so manche Nacht im Luftschutzbunker. Nerviger scheint für sie der Terror durch unbequeme Kleider zu sein und der Versuch, die Mädels selbst unter extremen Bedingungen zu echten Ladies zu erziehen. Die Vyes ziehen aus London fort, damit Vater Vye zukünftig als Hilfsgeistlicher arbeiten kann.  Erst durch den Ortswechsel erfährt Jessica, dass ihr Vater für seine Artikel im New Statesman bekannt ist  und  mit dem Kommunismus sympathisiert.

Aus Jessicas Blickwinkel  beschreibt Jane Gardam in ihrem bereits 1971 erschienen Coming-of-Age-Roman pointiert das Wesen von Pubertät unter erschwerten Bedingungen mitten im Krieg. Einige Mädchen bleiben ein wenig länger 12 Jahre alt als andere und genau dafür scheint ihre Schulklasse eingerichtet zu sein. Durch die Begegnung  mit dem „wundervollen Jungen“ Christian, der schon jetzt wie ein Schriftsteller aussieht,  erhält Jessica eine Andeutung, wie es sein könnte, auch  die Schwelle zu folgenden Lebensjahren zu überschreiten. Vielleicht ist erst der 14. Geburtstag für eine angehende Autorin entscheidend. Danach darf sie endlich auch offiziell den Bestand für Erwachsene in der Bücherei ausleihen.  Neben der keimenden Autorenkarriere ihrer Protagonistin skizziert Jane Gardam so auch meisterhaft den Beginn einer Leserinnenbiografie. Eine hinreißende Icherzählerin, deren Erlebnisse für mich gern noch knapper geschildert sein dürften.