Rezension

Wie ein Abend das ganze Leben verändern kann

Als das Leben vor uns lag - Care Santos

Als das Leben vor uns lag
von Care Santos

Bewertet mit 5 Sternen

1950 Spanien. Nina, Julia, Lola und die Zwillinge Martha und Olga besuchen gemeinsam ein katholisches Klosterinternat und haben sich miteinander angefreundet. Einen Abend, bevor Martha und Olga das Internat verlassen, spielen die fünf Frauen ein Pfänderspiel, wobei sie Mutproben bestehen müssen. Doch an diesmal geht etwas gehörig schief, was das Leben aller fünf Frauen richtweisend verändern wird. Nach diesem Abend sehen sich die Frauen dreißig Jahre lang nicht wieder, wenn sie auch lose Kontakt halten, bis Olga die Idee zu einem gemeinsamen Treffen hat und alle zusammentrommeln kann. Als die Frauen sich nach so langer Zeit wieder gegenüber stehen, bringen sie sich erst einmal gegenseitig auf den neuesten Stand, doch schon bald kommt das Gespräch auf die Ereignisse von damals und wie sehr dieses das jeweilige Leben geprägt hat…

Care Santos hat mit ihrem Buch „Als das Leben vor uns lag“ einen sehr fesselnden und tiefgründigen Roman vorgelegt, der den Leser von der ersten Zeile an packt und bis zum Ende nicht wieder loslässt. Der Schreibstil ist anrührend, packend und schön flüssig, er geleitet den Leser auf wunderbare Weise durch zwei unvergessliche Tage der Protagonistinnen, die zwar 30 Jahre auseinander liegen, aber so viel Sprengstoff beinhalten, so dass das Gefüge der einzelnen Leben auf wackelige Füßen steht. Die Autorin lenkt den Blick des Lesers geschickt durch die Handlung, indem sie ihm jede Protagonistin einzeln vorstellt und ihm Einblick in ihr Leben gewährt, damals wie gegenwärtig. So weiß der Leser schon mehr über jede einzelne Frau als die alten Freundinnen. Was sich am Abend vor 30 Jahren zugetragen hat, erfährt der Leser allerdings erst sehr viel später und hat somit jede Menge Zeit für Spekulationen. Der geschichtliche Hintergrund wurde von der Autorin sehr schön mit der Handlung verwoben, der Leser erlebt die Geschichte während der Francozeit und auch danach, der Zeit der Befreiung, wo Frauen endlich in der Lage waren, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und nicht nur zur Ehefrau und Mutter verdammt waren. Die Autorin hat den jeweiligen Zeitgeist sehr schön eingefangen und gibt ihn an den Leser weiter.

Die Charaktere sind sehr differenziert und individuell angelegt. Sie wirken aufgrund ihrer Eigenheiten sehr realitätsnah und authentisch. Der Leser kann sich in sie hineinversetzen, mit ihnen fühlen und leiden. Olga ist eine resolute Frau und war schon immer die Anführerin. Sie muss das letzte Wort haben und wirkt sehr ichbezogen. Ihr Privatleben ist dagegen eher 08/15, wahrscheinlich muss sie deshalb alle bevormunden, um wenigstens etwas Spannung in ihr Leben zu bringen. Mit ihr wird man nicht wirklich warm. Ihre Zwillingsschwester Martha ist das absolute Gegenteil, sie ist eher zurückhaltend, da sie sich Olga gegenüber nicht behaupten kann. Man hat fast Mitleid mit ihr, doch sie kann mit ihrer Art beim Leser punkten. Julia ist eine sehr sympathische Frau, die eine erfolgreiche Karriere als Politikerin gemacht hat. Auch die anderen Frauen stehen jede für sich und ihre Lebensentwicklung in den letzten 30 Jahren, die den Leser immer wieder überraschen kann.

„„Als das Leben vor uns lag“ ist ein rundum gelungener fesselnder Roman über fünf Schicksale vor historischem und politischem Hintergrund, die miteinander verwoben sind und deren Entwicklung. Alles wird vor dem Leser wunderbar Stück für Stück entblättert und lässt keine Wünsche offen. Absolute Leseempfehlung für ein wirklich anrührendes Buch!