Rezension

Wie ein Moment alles verändern kann…

Als gestern noch morgen war - Claire Dyer

Als gestern noch morgen war
von Claire Dyer

Der Titel “Als gestern noch morgen war” hat mich gleich neugierig gemacht, da ich eine Schwäche für leicht kryptische Buchtitel habe.  Auch das Cover fällt sofort ins Auge. Ich mag die dunklen Farben, das Motiv des jungen und des alten Paares und die Schriftart des Titels. Ich bin ein bisschen zwiegespalten was der Vergleich mit dem Originaltitel (“The moment”) und dem Originalcover (das gibt´s hier) angeht, denn beide spiegeln (wie so oft) den Inhalt viel, viel besser wieder, hätten mich allerdings nicht so neugierig gemacht wie die deutsche Ausgabe. Insofern hat der Droemer Verlag wohl doch alles richtig gemacht [:-)]

Was wäre, wenn man die Zeit zurückdrehen könnte? Wenn man diesen einen Moment nochmals erleben könnte… Wenn man eine andere Entscheidung getroffen hätte… Das ist die zentrale Frage in “Als gestern noch morgen war”. Zwei ehemals Liebende, Fern und Elliot, treffen sich nach 25 Jahren zufällig morgens in der Paddington Station wieder. Nach einem kurzen, verkrampften Gespräch und nachdem Fern Elliot ihre Telefonnummer gegeben hat, geht jeder wieder seine Wege und hängt seinen Gedanken nach. Elliot fragt sich, was wäre, wenn er damals, an diesem einen Tag im März, nicht diesen Fehler begangen hätte, wenn er sich anders verhalten hätte. Und auch Fern denkt an ihre gemeinsame Zeit, diesen einen schrecklichen Moment, der alles veränderte. Lässt sich die Zeit zurückdrehen? Kann sie Elliot verzeihen? Was wäre, wenn sie sich am Abend mit ihm trifft? Was wäre, wenn nicht?

Auf 336 Seiten beschreibt Claire Dyer lediglich einen einzigen Tag- den Tag, an dem sich Fern und Elliot morgens auf dem Bahnhof treffen. In 19 Kapiteln, wobei abwechselnd jeweils ein Kapitel Ferns Perspektive und eines Elliots Perspektive auf die gemeinsame Geschichte preisgibt (ohne die übliche Ich-Perspektive), bekommt der Leser nicht nur die Gefühlswelt der beiden nach dem zufälligen Aufeinandertreffen vermittelt, sondern auch einen Rückblick auf ihre gemeinsame Zeit vor 25 Jahren. Nach und nach entwickelt sich ihre gemeinsame Geschichte: das Kennenlernen, die Phase der Verliebtheit, die ersten Probleme und schließlich das Ende der Beziehung.
Beide reflektieren über ihre gemeinsame Vergangenheit, über die Geschehnisse der letzten 25 Jahre, von denen der jeweils andere nichts weiß , über ihre momentane Situation und auch über eine mögliche gemeinsame Zukunft. WährendElliot gerade in Trennung von seiner Frau lebt und von seiner erwachsenen Tochtergenervt ist, die ihm die Schuld an der gescheiterten Ehe der Eltern gibt und damit frei fürFern wäre, istFern mit ihrem Leben recht zufrieden: sie hat einen Ehemann, der sie liebt und zwei erwachsene Söhne, die gelegentlich zu Besuch kommen. Aber natürlich ist auch dieses Leben nicht perfekt und Fern beginnt es nach dem Aufeinandertreffen mitElliot zu hinterfragen.Claire Dyer ist eine preisgekrönte Lyrikerin und das schlägt sich auch in ihrem einzigartigen Schreibstil nieder: auf sehr poetische und dennoch verständliche Weise lässt sie den Leser eintauchen in die Geschichte von Fern und Elliot, in ihre Ängste, Hoffnungen, Zweifel und Unsicherheit. Durch den Wechsel der Perspektiven und Zeiten wird immer mehr Spannung aufgebaut und als Leser kann man die Auflösung der Geschichte kaum abwarten: Werden die beiden sich abends nochmal treffen? Und wenn ja, was wird passieren? Wird Fern Elliot verzeihen können? Wird Elliot sich entschuldigen? Wird Fern ihre Familie für Elliot verlassen? Gleichsam zieht man als Leser Rückschlüsse auf das eigene Leben: Was wäre, wenn…? Es ist unheimlich faszinierend wie die Autorin die ganze Geschichte um diesen einen Moment strickt, der dazu führt, dass die Protagonisten alles bisherige in Frage stellen.

Mein Fazit: “Als gestern noch morgen war” ist eine niveauvolle, eindrückliche Liebesgeschichte, die gut unterhält, den Leser sich selbst reflektieren lässt und durch einen einzigartig poetischen Schreibstil besticht. Es gibt so viele unheimlich eindrückliche Sätze in diesem Buch, dass es sich alleine schon deshalb lohnt, diese Geschichte zu lesen. Ich hoffe wirklich sehr, dass Claire Dyer zukünftig weitere Romane schreiben wird, die ich dann definitiv lesen werde.