Rezension

Wie entwickelt sich Identität?

Der verlorene Sohn - Olga Grjasnowa

Der verlorene Sohn
von Olga Grjasnowa

Bewertet mit 3 Sternen

Jamelludin war neun Jahre alt, als er von den Russen zur Geisel genommen wurde. Sie verschleppten ihn in der ersten Hälfte des 19 Jahrhunderts aus dem Nordkaukasus. Nach vier Wochen erreichte der Sohn des Imam Schamil und Liebling seiner Mutter Moskau, wo er vom Zar in die besten Schulen geschickt wurde.
Mit ruhiger, unaufgeregter Schreibe führt uns die Autorin in die Kulturunterschiede zwischen den Awaren und Russen ein. Den Großteil des Buches füllt das Leben am Zarenhof und in Petersburg, ehe zum Schluss noch ein wenig Spannung aufkommt.

Olga Grjasnowa, geboren 1984 in Baku, Aserbaidschan, kann auf längere Auslandsaufenthalte in Polen, Russland, Israel und der Türkei zurückblicken. Seit 1996 lebt sie in Deutschland, wo sie schon mehrere Bücher veröffentlicht hat. Ihre Themen sind Immigration und deren Folgen.

Auch in diesem Buch bleibt sie ihrem Themenkomplex treu. Allerdings ist hier der Ortswechsel nicht durch eigenen Antrieb (Flucht wie in „Gott ist nicht schüchtern“) ausgelöst, sondern durch außen (Entführung in ein fremdes Land) verursacht. Dem Kind Jamalludin bleibt nichts anderes übrig als sich zu fügen. Obwohl er sich in der neuen Umgebung assimiliert, bleibt er trotz seiner hervorragenden Ausbildung durch das Beibehalten seines muslimischen Glaubens ein Außenseiter.

Die Autorin ahmt in weiten Strecken Tolstojs ausufernden Erzählstil nach, allerdings fehlt ihr sein Esprit, weshalb so manche Szene fast langweilig wirkt. Auf der anderen Seite merkt man, dass Grjasnowa weiß, wovon sie schreibt, wenn es um Sprachen- und Religionsvielfalt geht. Der Erzählstil selbst war mir in diesem Buch allerdings zu emotionslos, so dass ich bei der Bewertung nicht über drei Sterne hinaus komme.