Rezension

Wie habe ich vergessen können, dass das Paradies so nah ist?

Der Duft von Gras nach dem Regen - Patrick Jacquemin

Der Duft von Gras nach dem Regen
von Patrick Jacquemin

Wie habe ich vergessen können, dass das Paradies so nah ist?

Annabelle Dumas ist eine erfolgreiche, von ihrer Arbeit besessene Karrierefrau. Als Gründerin einer Bank vernachlässigte sie zugunsten ihres fordernden Berufes sowohl ihren Ehemann Francois, als auch ihre achtjährige Tochter Léna. Eine Scheidung und ein geteiltes Sorgerecht sind die Folgen ihres leistungsorientierten Lebens. Annabelle leidet an Schlafstörungen, fühlt sich verloren und stellt ihr Leben infrage. Kurz vor dem drohenden Burn-out beschließt sie, einige Tage auf dem Land zu verbringen. Sie trifft auf einen siebzigjährigen archaisch lebenden Einzelgänger namens Georges Lesage, der ein ungewöhnliches Leben führt. Anabelle fühlt sich mehr und mehr zu diesem einfachen und stillen Dasein hingezogen und beneidet den alten Mann um seinen Seelenfrieden. Die Natur ist das Lebenselixier von George, ebenso wie die Welt der Bücher, in die er sich leidenschaftlich vertieft. Obgleich er sehr gebildet, einfühlsam und galant ist, zieht er das Leben abseits anderer Menschen vor. Doch Georges besitzt eine außergewöhnliche Gabe, die – wie sich nach und nach herausstellt – auch in Annabelle schlummert. Die faszinierende Zufallsbekanntschaft mit George stellt Annabelles Leben völlig auf den Kopf. Sie hinterfragt ihre bisherigen Lebensziele und führt sich endlich die wirklich wichtigen Dinge vor Augen.

Patrick Jacquemin stellt im vorliegenden Roman zwei völlig konträre Welten gegenüber. Seine lebhafte, charmante und äußerst zielstrebige Protagonistin Annabelle versinnbildlicht das hektische, nach finanzieller Sicherheit, Geld und Macht strebende Denken und Handeln der modernen Zeit. Im Gegensatz dazu lebt George in ruhigem Einklang mit der Natur, verzichtet gerne auf die neuen technischen Errungenschaften und geht achtsam mit seinem Land, der Tier- und Pflanzenwelt um.

Der Autor wartet mit sehr gut charakterisierten handelnden Figuren auf, beschränkt sich hierbei jedoch auf die beiden Protagonisten. Etwaige Nebenfiguren tauchen lediglich in Form von kurzen Erwähnungen auf und spielen kaum eine Rolle in diesem Buch. Dialoge mit der Natur und die Gedankenwelt der beiden Hauptfiguren wurde kursiv dargestellt, viele Lebensweisheiten in die Handlung eingebaut. Dennoch vermochte der Autor mich nicht ganz von seiner Geschichte zu überzeugen. Der atemberaubenden Schönheit der Natur wurde beispielsweise durch die akribische und bildhafte Beschreibung von Blumenwiesen oder ruhigen, meditativen Begegnungen mit Bäumen Ausdruck verliehen. Trotzdem fehlte mir bei diesem Buch etwas, das ich nicht wirklich zu benennen vermag. Ich konnte keine richtige Sympathie für Annabelle und George aufbringen, sie bezogen mich emotional nicht genügend ein. Dies könnte vielleicht auch der Kürze dieser Geschichte von nur etwas über einhundert Seiten (E-Book) geschuldet sein. Auch das Ende, auf das ich aufgrund etwaiger Spoiler nicht näher eingehen möchte, empfand ich als zu rasch herbeigeführt und wenig zufriedenstellend, es war für mich ebenfalls nicht ganz zufriedenstellen.

„Der Duft von Gras nach dem Regen“ ist eine durchaus lesenswerte Geschichte, die den Fokus auf die Verbundenheit mit der Natur lenkt. In einem einnehmenden Sprachstil lässt Patrick Jacquemin das Leben und das Umfeld seines Protagonisten Georges Lesage bildhaft vor den Augen des Lesers erscheinen, auch die eingebauten Lebensweisheiten fand ich zum Teil bereichernd. Mit gemischten Gefühlen möchte ich daher eine etwas eingeschränkte Leseempfehlung und drei Bewertungspunkte für dieses Buch vergeben.