Rezension

"Wie konnte der durchgeknallte Typ überhaupt so viel schreiben?"

Literatur! - Katharina Mahrenholtz

Literatur!
von Katharina Mahrenholtz

Bewertet mit 4 Sternen

Es ist eine traurige Tatsache, dass der Deutschunterricht vielen Schülern das Lesen endgültig verleidet, so dass sie nach dem Ende ihrer Schulzeit lange kein Buch mehr in die Hand nehmen. Bei einigen endet diese Phase zum Glück, wenn sie ihren Kindern vorlesen möchten und sich auf die Spuren der Bücher ihrer eigenen Jugend begeben. "Literatur!" wirkt als Mutmach-Buch mit der eindeutigen Botschaft: Du darfst. Du darfst über Autoren und ihre Bücher spotten, du darfst Klassiker lesen, ohne vor Ehrfurcht im Boden zu versinken, du darfst literarische Denkmäler von ihrem Sockel holen und sie als Comic oder Hörbuch in der Form konsumieren, die dir gefällt. Wer in Hamlet wen liebt und wer wen ermordet, wird als Cartoon alle Generationen erfreuen. Katharina Mahrenholtz macht ihren Lesern keine falschen Versprechungen, sie empfiehlt bei einigen Autoren, doch mit einer Novelle oder einer Ballade zu beginnen und sich erst dann an die dicken Schwarten zu wagen. "Don Quijote ist nichts für Einsteiger" gibt sie auf S. 17 ehrlich zu. Bei Proust oder Joyce solle man sich nüchtern überlegen, ob deren Werke evtl. gar nicht dem eigenen Geschmack entsprechen werden. "Jack London war ein irrer Typ", (S. 71) informiert Mahrenholtz und fragt sich über Proust (wie vermutlich einige Leser vor ihr) "Wie konnte dieser durchgeknallte Typ überhaupt so viel schreiben?" (S. 70). "Hermann Hesse ist gern mal etwas esoterisch unterwegs" (S. 93) verrät sie oder rät (bei Alexandre Dumas), auf eine Buchausgabe mit Personenliste zu achten. Einige Abschnitte des Buches sprechen Interessen Jugendlicher besonders an, wie die Auflistung der längsten Sätze und häufigsten Wörter (S. 82/83). In welchem Alter und unter welchen Umständen prominente Autoren starben, trifft exakt die morbid getönten Interessen Jugendlicher (S. 179). Die Illustrationen sind ein Höhepunkt des Buches; Literatur als U-Bahn-Karte, als Sternenhimmel oder als Zeitstrahl am unteren Seitenrand (Pygmalion entstand in der Zeit als Henry Ford die Fließbandfabrikation perfektionierte) zwingt, eigene Sehgewohnheiten über Bord zu werfen.

Die Auswahl modernerer Bücher präsentiert u. a. Perlen wie Satrapis Persepolis, als Kinderbuchautoren werden Carl Hiassen und John Green empfohlen. Die Kinderbuchempfehlungen listen nur zwei deutschsprachige Autorinnen, aber vier englischsprachige Autoren, Bücher für 8-jährige und 12-jährige Leser treten ohne Kennzeichnung munter durcheinander auf. Ein Umstand, der den Nutzen der Empfehlungen für Schüler deutlich mindert, die für den Deutschunterricht deutsche Jugendbuchautoren vorschlagen sollen.

"Literatur!" empfehle ich in erster Linie als Geschenk für Jugendliche ab 12 Jahren, weil es ermutigt, die Lektüre von Klassikern nicht aus Respekt zu scheuen, sondern sich den großen Namen der Literatur über ihre kürzeren Texte zu nähern.