Rezension

Wie lieben und sich selbst treu bleiben?

Verlangen -

Verlangen
von Bregje Hofstede

Bewertet mit 4 Sternen

Unser Gedächtnis ist ein Geschichtenerzähler und enorm unzuverlässig. Das ist praktisch, weil es uns hilft über Dinge hinwegzukommen, aber es ist auch zum Haareraufen, wenn beispielsweise die Erinnerungen von zwei Menschen völlig auseinanderdriften, je mehr sich diese entfremden. Insofern ist die Frage, was von einer Liebe übrigbleibt, ziemlich knifflig und interessant. Es war einmal eine Winternacht. Es war einmal eine Frau, die aus ihrem Haus taumelte, unter einem viel zu schweren Rucksack gebückt ging. Denn sie nimmt alle ihre Tagebücher mit. Diese Nacht ist jetzt. Verlangen ist die freimütige Geschichte einer jungen Frau, die von zu Hause flieht, weil sie jahrelang vor sich selbst geflohen ist. Sie handelt davon, wie überwältigend die erste Liebe ist, bis sie einen einengt. Und davon, ob es in jeder Liebesgeschichte letztlich um Betrug geht. Die Ich-Erzählerin im Buch heißt Bregje Hofstedt. Trotz aller fiktiven Elemente hat man den Eindruck, ein sehr persönliches Portrait in den Händen zu halten. Darin geht es um eine junge Frau, die ihre Jugendliebe, Luc, verläßt. Sie erzählt in der ersten Person von ihrer Beziehung. In dem Roman spielt die Frage Fiktion vs. Realität eine große Rolle - wie vertrauenswürdig sind Erinnerungen, Anekdoten aus der Kindheit, Tagebucheinträge oder die Kennenlerngeschichte eines Paares. Sind wir in Wirklichkeit alle nur Teil einer Geschichte, die wir uns selbst erzählen? Sehr intensiv und etwas verstörend ist daß im Roman die Rücken der Tagebuch-Kladden der Hauptfigur etikettiert sind. Darauf steht jeweils ein einzelnes Wort, das die jeweilige Lebensphase beschreibt: "Ehe", " Brüssel", "Romandebüt", "Insomnia". Im Buch liest die Erzählerin ihre Tagebücher aus der Anfangszeit der Beziehung und gleichzeitig erinnert sie sich an dieselbe Zeit. Oft weichen Erinnerungen und ihre Tagebucheinträge voneinander ab. Die Frage ist also: Woran will man sich erinnern? Wenn man auf eine gescheiterte Beziehung zurückblickt, ist die eigene Erinnerung völlig verschoben. Was man mit seinem Leben anfangen kann und wo man sich selbst im Weg steht, davon erzählt die Autorin detailliert und einfühlsam und vor allem mit gehörig überraschenden Wendungen. "Verlangen" erzählt auch davon, wie wir uns selbst belügen, damit wir nicht das tun, wonach wir uns am meisten sehnen und wie wir es dann vielleicht doch tun. Aber auch ein Stück Lebenskunst, das ebenso Literatur geworden ist – feinfühlig, vital und einnehmend. Ich hatte mir allerdings unter diesem Roman dadurch etwas ganz anderes – Mut machendes – vorgestellt. Trotzdem habe ich es nie bedauert diesen Roman gelesen zu haben. Ein wunderbares Buch, das haarklein aufzeigt, wie machtlos Liebende sind.