Rezension

Wie Männer trauern

Wie hoch die Wasser steigen
von Anja Kampmann

Bewertet mit 4 Sternen

Ein großes Kompliment an die junge Autorin. "Wie hoch die Wasser steigen" ist der erste Roman der Longlist des Deutschen Buchpreises 2018, der mich von den Gelesenen bisher zu überzeugen vermochte. Allerdings ist seine Thematik spröde und sein Ton monoton. Dies ist freilich um der Wirkung willen, die die Autorin erzeugen wollte und auch erzeugt hat, gewollt. Am Anfang hatte ich so meine Probleme damit, aber je weiter ich las, mich einließ .. desto mehr konnte mich die Autorin für sich einnehmen. Wenn sie nur nicht wieder zuviel des Guten getan hätte.

Auf einer Bohrinsel, in der Nähe von Marokko, geschieht ein Unfall mit tödlichem Ausgang. Es ist nicht der erste Unfall, der auf einer Bohrinsel passiert und wird nicht der letzte sein. Der Protagonist Waclaw, ungarischer Herkunft, hatte selber vor Jahren einen Arbeitsunfall und jeder der Männer, die in diesem harten Geschäft unterwegs sind, weiß von jemandem, den es erwischt hat. Diesmal kann Waclaw nicht einfach so weitermachen wie sonst immer, denn er hat mit dem Toten Mátjás nicht nur die Kammer geteilt, sondern weitaus mehr.

Die Liebesgeschichte zwischen den beiden Männern ist fast nur angedeutet, sie bleibt zart, nicht in ihrer Wirklichkeit und Wirksamkeit, sondern in der Art, wie die Autorin sie literarisch verarbeitet, lediglich in der Trauer, die Waclaw durchlebt. Das ist Kunst.

Die Trauer Waclaws ist schwer, sie macht ihn taub. Einen direkten Einblick in Waclaws Seelenleben erlaubt uns die Autorin nicht. Wie es oft bei Männern der Fall ist, ist er ungeübt, unfähig, Gefühle in Worte zu fassen. Oder auch nur zu spüren. Davon handelt dieser Roman. Davon, wie Männer trauern. Wortlos.

Ich habe lange gebraucht, bis ich „Wie hoch die Wasser steigen“ goutierte. Der Roman ist anstrengend. Daran gibt es nichts zu rütteln. Er hat Schwächen, daran gibt es auch nichts zu rütteln. Aber er ist auch sensibel, lyrisch in all seiner Monotonie und ohne Brüche. Echte Kunst.

Anja Kampmann schreibt ihren Roman so, dass der Leser von den äußeren Eindrücken des Protagonisten, diese zurückprojizieren muss auf sein Gefühlsleben. Um ihn zu verstehen. Das funktioniert. Mühelos erfasst man, was Waclaw umtreibt, obwohl er nichts darüber sagt oder denkt. Einfach nur durch das, war er sieht, wie er seine Umwelt erlebt, wie sie auf ihn wirkt: das ist große Kunst.
 

Die Stilmittel, die Anja Kampmann verwendet, sind Assoziationsketten und eine aufzählende Schreibweise, oft ohne Verb, für die Orte und Menschen, denen Waclaw begegnet:

„Das mächtige Schlagen der Glocke in einem Dorf, an dessen niedrigen Häusern der Putz angelaufen war, das Rosengrau, Gelbgrau, die rostigen Balkone. Ziegeldächer, müde geworden unter den Sommern, nach Hügelketten voller Stacheldraht, Straßen mit öden Ländereien.“

„Der Boden brannte. Flammende Ferne. Disteln.“

Diese Erzählweise vermittelt Atmosphäre. Ob Kairo oder Tanger, Budapest oder Rom, Berg oder Tal, Meer und Weite oder die Enge dörflichen Lebens und Denkens: Anja Kampmann zeigt sich allen Örtlichkeiten gewachsen. Sie hat eine phantastische Beobachtungsgabe und auch einige der verwendeten Vergleiche und generell ihre Sprache, beides kommt unverbraucht daher und ist schön:

„Er wusch sich, und das Wasser war klar und kalt und älter als das niedrige Haus und das Leuchten der Provinz und älter als die Stille der Wiesen ringsum.“
Oder

"Und wie in einem Jahrmarktskabinett dehnten und zerrten sich die Wochen auf See zu etwas Riesenhaftem und gleich darauf zu etwas winzig Kleinem zusammen."

Dennoch ist dieser Roman anstrengend, weil an vielen Stellen manieriert und damit überzogen. Es sind nicht alle Bilder stimmig. Manche verstehe ich nicht einmal. Man merkt, dass sich die Autorin noch ausprobiert. Es gibt auch zu viele davon, denn das Offensichtliche braucht keine erklärenden Bilder.

Es fällt mir schwer, diesen Roman zu „benoten“. Man kann ihn nicht schnell so „runterlesen.“ Eigentlich sollte man ihn sich selbst vorlesen. Er hat eine Melodie, einen Rhythmus, eine Schwingung.

„So hoch die Wasser steigen“ ist ein Trauerbewältigungsroman. Er ist monoton, gleichsam erstarrt. Das Buch hat durch eine verschwenderische Fülle an nicht immer gelungenen Metaphern eine ärgerliche Schwäche und ist, unter anderem dadurch, leider beschwerlich zu lesen. Dennoch: wenn ich nur einen einzigen Roman hätte lesen dürfen in diesem Jahr, dann hätte ich mir Anja Kampmanns Roman ausgesucht. Man hat lange etwas von und an diesem Buch.

Fazit: Man muss sich Zeit nehmen für diesen Roman. Nur dann kann er wirken. Er erzählt davon, wie Männer trauern: wortlos.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Hanser, 2018
Longlist Deutscher Buchpreis 2018

Kommentare

Emswashed kommentierte am 17. Oktober 2018 um 07:53

Ein wortloses Trauern in Worte gefasst - in der Tat ein schwieriges Unterfangen.