Rezension

Wie sie wirklich waren

Waterlily -

Waterlily
von Ella Cara Deloria

Delorias einziger Roman „Waterlily“ beschreibt das Leben in den Tiyospaye, den Lagerkreisen der Teton Sioux, wie es gewesen sein muss, kurz bevor der Weiße Mann seinen zerstörerischen Einzug in die Great Plains hielt – als es noch Büffel ohne Zahl gab und Sitten und Gebräuche unverfälscht gelebt wurden. Das Besondere des Romans ist, dass er auf die Rolle der Frauen in der Sioux-Gemeinschaft fokussiert. Deloria räumt dabei mit dem Vorurteil auf, dass die indianischen Frauen als den Jägern, Kriegern und Schamanen unterlegen angesehen wurden.

Der Roman beginnt mit dem feindlichen Überfall auf einen Lagerkreis; nur die junge Schwangere Blue Bird überlebt und kann sich einem anderen Lagerkreis anschließen, der bald darauf sein Lager verlegt, weil der aktuelle Lebensraum „unrein“ geworden ist. Blue Bird kommt unterwegs nieder – nahe eines Teiches, auf dem anmutige Wasserrosen blühen – und tauft ihre Tochter Waterlily.

Wir folgen Waterlily auf ihrem Weg ins Leben und erfahren an ihrem Beispiel, welche Werte für die Gemeinschaft wichtig waren, welche Rituale die verschiedenen Lebensabschnitte und -bereiche begleiten (Heirat, Scheidung, Hunka, Sonnentanz,Tod), und welche komplexen Verhaltensnormen respektiert werden mussten. Aber nicht nur Waterlily lernen wir kennen, sondern z. B. auch Gloku, ihre liebenswürdige Großmutter, Dream Woman, eine talentierte Textilkünstlerin (wie man heute sagen würde) oder Leaping Fawn, eine Ewige Jungfrau (die zu werden eine respektierte Lebensentscheidung war). Die Welt der Männer kommt durch Waterlilys Verwandte in den Roman – erster „Coup“, erster erlegter Büffel, Sonnentanz, Schwurbrüderschaft etc. Die Geschichte endet für mein Gefühl verfrüht; über Waterlilys Leben wäre sicher noch viel zu erzählen gewesen.

Auf der Faktenebene fand ich den Text ungemein fesselnd, und sie war es auch, die mich den Roman mit Vergnügen und Neugier lesen ließ. Die Plotebene bleibt eher anspruchslos, und auf eine psychologische Unterfütterung der Figuren muss man verzichten. Es ist kein literarisches Werk; die Sprache ist einfach, der Erzählton sachlich, auch wenn es um hochemotionale Dinge geht. Am Anfang hat mich das gestört, aber das sind Feinheiten, auf die ich zugunsten der sonstigen Qualitäten leicht verzichten konnte.

Deloria, die in einer Lakota-Familie groß wurde und gleichzeitig eine christliche Erziehung genoss, schlägt mit diesem Roman eine Brücke zwischen den Kulturen. Da sie Lakota ebenso wie Englisch sprach und sich gemäß der Sitten der Sioux zu verhalten wusste, erfuhr sie bei ihren Interviews mit alten Lakotafrauen wesentlich mehr, als das einer (geschweige denn einem) Weißen möglich gewesen wäre.

Das Nachwort setzt eine zusätzliche Perspektive. Der Roman wurde bereits in den frühen 1940er Jahren geschrieben und anschließend mit Rücksicht auf eine weiße Leserschaft stark zusammengestrichen, was meinen oben geschilderten Eindruck des verfrühten Endes erklärt. Die Autorin konnte dennoch die wichtigsten Rituale und religiösen Praktiken integrieren, obwohl sie wertend als „heidnisch“ wahrgenommen wurden.  Aber erst 1988, lange nach dem Tod Delorias, gelang es, das Werk zu veröffentlichen.

Aus der Sicht der heutigen Teton Sioux ist Waterlily ein Meilenstein der Native Literature. Mir hat Delorias Werk alles in allem gut gefallen – ich empfehle es jedem, der/die sich für die Native Americans jenseits des Klischees interessiert – wie sie wirklich waren.