Rezension

Wie weit darf Forschung gehen?

Affenbruder - Kenneth Oppel

Affenbruder
von Kenneth Oppel

Bewertet mit 5 Sternen

Nachdem Kenneth Oppel in Deutschland in erster Linie durch fantastischen Lesestoff bekannt geworden ist, ist mit "Affenbruder" nun ein Roman erschienen, der eine ganz andere Facette seines Schaffens aufzeigt.

"Affenbruder" spielt in den 70er Jahren in Kanada, zu einer Zeit, als die Sprachforschung bei Primaten ihren Höhepunkt erreichte. Mir gefiel es besonders, wie Kenneth Oppel mit Beschreibungen und Benennen der damaligen Mode, Musik und Filme die Atmosphäre der damaligen Zeit erlebbar macht, ohne den Zeitraum, in dem die Geschichte spielt, gleich zu Anfang konkret zu beziffern.

Hauptfigur dieser Geschichte ist der 13jährige Ben, der durch die Arbeit seiner Eltern einen ungewöhnlichen Halbbruder bekommt: für ein Projekt nehmen seine Eltern einen jungen Schimpansen ins Haus, der im Alter von wenigen Tagen von seiner Mutter getrennt wurde. In Bens Elternhaus soll er wie ein Mensch aufwachsen und in ihrer Gesellschaft im Rahmen eines wissenschaftlichen Experiments die Zeichensprache erlernen, um damit den Beweis zu erbringen, dass ein Primat die Fähigkeit besitzt die menschliche Sprache zu verstehen und zu verwenden. Während Zan - wie Ben den jungen Schimpansen nennt - für Ben und seine Mutter bald tatsächlich zur Familie gehört, bleibt er für Bens Vater ein reines Forschungsobjekt. Als das Projekt scheitert, wird Ben gnadenlos mit der Kehrseite der Medaille der Wissenschaft konfrontiert. Während das Projekt noch erfolgversprechend verlief, war sich die Familie der finanziellen Unterstützung der Hochschulen sicher, der Vater auf dem besten Weg eine Koryphäe im Bereich der Sprachforschung zu werden, nach dem Scheitern des Versuchs steht die Familie vor dem Problem einen Platz für Zan zu finden, wo er weitmöglichst artgerecht weiterleben kann und nicht als Tier für Laborversuche endet.

Kenneth Oppel schafft es das Thema von vielen Seiten kritisch und trotzdem mit einer gewissen Objektivität auszuleuchten, so dass der Leser zwar mit vielen Fakten über die Sprachforschung mit Primaten zur Zeit der 70er Jahre gefüttert wird, ansonsten aber durch verschiedene Hinweise und Zitate auf Forschungen, Einrichtungen und Verfilmungen auf eigene, weitere Recherche verwiesen wird, insofern er Interesse an dem Thema gefunden hat.

Neben dem Hauptstrang der Geschichte, der sich mit dem Für und Wieder der Forschung an und mit Tieren widmet, erzählt Kenneth Oppel anhand der ungewöhnlichen Patchworkfamilie von den Problemen eines heranwachsenden Jungen mit seinem Umfeld und seinen Eltern und von seiner ersten Liebe.

Die Geschichte ist sehr emotional und intensiv, besonders mit dem Wissen, dass sich solche Experimente so oder ganz ähnlich in den 70er Jahren tatsächlich ereignet haben. Kenneth Oppel zitiert einige wahre Begebenheiten, wie die ersten Affen im Weltall, die ständig daran erinnern, was Tieren in der Forschung in den letzten Jahrzehnten angetan wurde und das der Mensch bis heute nur wenig mehr respektablen Umgang mit seiner Umfeld gelernt hat.
Dass Zan trotz seinen ersten Monaten innerhalb einer menschlichen Familie immer noch seine tierischen Instinkte bewahrt hat, lässt umso intensiver über die Frage nachdenken, wie weit Forschung mit Tieren gehen darf.
Ben - und vielleicht auch der eine oder andere Leser - lernt, dass die Liebe zu einem Tier, auch wenn Zan für Ben in der Geschichte tatsächlich zu einem Bruder wird, einen zwingt für dessen Wohl und schlimmstenfalls gegen die eigenen Gefühle zu entscheiden. "Affenbruder" ist eine emotionale und berührende Geschichte über ungewöhnliche Familienbande und der Notwendigkeit manchmal zum Wohle eines Freundes Loslassen zu können und den anderen sein eigenes Leben leben zu lassen. Abgesehen vom jugendlichen Alter des Protagonisten wird hier ein wichtiges Thema derart umfassend und kritisch behandelt, dass der Roman auch für erwachsene Leser eine ansprechende und interessante Lektüre bildet.

Kenneth Oppel ist für mich einer der besten Jugendbuchautoren der heutigen Zeit. Egal ob fantastische Literatur, Neuinterpretationen von Klassikern, Reihen oder Stand Alones - Oppel kann einfach alles... und das grandios!