Rezension

Wie weit dürfen Überwachung und Transparenz gehen?

Der Circle - Dave Eggers

Der Circle
von Dave Eggers

Bewertet mit 5 Sternen

Mae ist vierundzwanzig und hat seit ihrem Studium in einem mittelmäßigen Job bei den Strom- und Gaswerken ihres Heimatortes gearbeitet. Jetzt, nach achtzehn Monaten, wird endlich ihr Traum wahr: Ihre Studienfreundin Annie hat ihr einen Job beim Circle beschafft, dem wohl modernsten und einflussreichsten Technologiekonzern Amerikas. Von ihrem Einsatzort in der Customer Experience lernt sie die Unternehmensphilosophie kennen und erlebt den Start weltverändernder Innovationen hautnah mit. War sie anfangs noch skeptisch, wird sie allmählich ein Teil des Circle. Aber wohin wird die Vision des Unternehmens die Welt führen?

Der Leser lernt Mae an ihrem ersten Arbeitstag beim Circle kennen. Sie ist begeistert, geradezu überwältigt von der Gelegenheit, für das Unternehmen arbeiten zu dürfen. Eine erste Führung des Campus zeigt ihr, dass das Unternehmen seinen Mitarbeitern alles bieten möchte: Die neueste Technik, Sportplätze, Partys, Livemusik, die besten Köche in der Kantine, Wohnheimszimmer, wenn es zu spät wird, um nach Hause zu fahren. Auf den ersten Blick wirkte dieses Unternehmen auch auf mich wie der Traum eines jeden Arbeitnehmers.

Nach den ersten überwältigenden Tagen voller neuer Eindrücke beginnt für Mae ihr Einsatz in der Customer Experience. Hautnah verfolgte ich, wie sie ihre Hauptaufgabe kennenlernt, die Beantwortung von Kundenanfragen. Doch damit ist es nicht getan. Bald wird ein weiterer Bildschirm aufgestellt, auf dem sie mit ihrem Vorgesetzten kommuniziert. Einer, mit dem sie im sozialen Netzwerk des Circle agieren kann, denn Partizipation ist alles. Einer, der den Rang ihrer sozialen Aktivität anzeigt, ein Armband für Vitalfunktionen und Schritte misst, ein Kopfhörer, mit dem sie Fragen beantwortet… immer mehr Technologie kommt hinzu, die immer mehr Möglichkeiten der Kommunikation, aber auch der Überwachung bietet. Hat Mae anfangs noch den Campus um fünf Uhr verlassen und sich aus dem sozialen Netzwerk ausgeklinkt, wird sie bald eindringlich gebeten, den Circle an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Immer stärker wird sie ein Teil der Gemeinschaft, will dazugehören, und muss schließlich entscheiden, was ihr im Leben wichtig ist.

Besonders fasziniert hat mich, wie schleichend die Entwicklung vor sich geht. Wo ist die Grenze, an der man zugeben sollte, dass es zu viel wird? Mit wie viel Transparenz und Überwachung kann man selbst leben? Der Autor nahm mich mit in eine Welt, die sich gar nicht so sehr von unserer heutigen unterscheidet. Die technischen Innovationen, die beschrieben werden, gibt es zum Teil schon oder es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie bald möglich sind. Doch sollte man sie wirklich in dem Ausmaß einsetzen, wie der Circle es tut? Könnte es passieren, dass ein Unternehmen in unserer Zukunft tatsächlich eine solche Macht entwickelt, und wie viel Macht haben Technologiekonzerne heute schon? Wie viel in diesem Buch wird in zehn, zwanzig, dreißig Jahren Realität sein?

Die eindringliche, nüchterne Sprache des Buches hat mich immer tiefer in die Geschichte hineingezogen. Nur wenige Bücher haben es bislang geschafft, mich so sehr zum Nachdenken zu bringen wie dieses. Obwohl ich es nun seit ein paar Tagen ausgelesen habe, beschäftigt es mich noch immer sehr. Dave Eggers zeigt zahlreiche Möglichkeiten auf, wie eine flächendeckende Überwachung realisiert werden kann, wie das Wissen und die Erfahrungen eines jeden der ganzen Welt zugänglich gemacht werden können. Gleichzeitig präsentiert er Charaktere, die von dem, was sie tun und wofür sie stehen, vollkommen überzeugt sind. Oder kommt bei dem einen oder anderen nicht doch ein leiser Zweifel auf…? Gerade die Tatsache, dass die Ideen nicht von Grund auf schlecht sind, sondern man es damit zu weit treiben kann, macht es schwer, die Grenze zwischen Richtig und Falsch zu finden.

Erwartet keine actionreiche Geschichte, keine großen Emotionen. Hier wartet eine kühle Welt der Technologie auf euch, die auf völlige Transparenz ohne Geheimnisse und auf maximale sozial Vernetzung zusteuert. Kann und will man so etwas? Findet am besten selbst heraus, wo eure Schmerzgrenze der Überwachung liegt – lest dieses Buch, von mir gibt es dafür eine ganz klare Leseempfehlung.