Rezension

Wie wissen wir, dass wir wissen, was wir wissen

Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten! - Carmen-Francesca Banciu

Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!
von Carmen-Francesca Banciu

Bewertet mit 4 Sternen

Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um das Buch von Carmen-Francesca Banciu zu bewerten. Es wird zwar als Roman bezeichnet und im Gesamtkontext fühlt sich das Gelesene auch irgendwie romanhaft an, trotzdem erinnert die Aufbereitung des Textes eher an einen tiefgründigen, nachdenklichen Poetry-Slam. Dabei ist die Dichtkunst auf einem hohen Level unterwegs.

Kurz vor dem Ableben ihres Vaters lässt Maria-Maria die Vergangenheit mit ihren Eltern und deren Gefährten, Genossen und Geliebten, Revue passieren. Dabei reflektiert sie die eigene, von außen eingeschränkte Beziehung zu ihrem Vater. Unter dem Leitspruch,

„Erst kommt das Vaterland, die Partei
Die Arbeit, die Pflichten
Danach kommt die Familie“,

ist nicht viel Platz für die Tochter, die besser ein Sohn hätte sein sollen. Nur so ist auch die mangelhafte Würdigung der bisherigen Lebensleistung von Maria-Maria durch den Vater zu begreifen:

„Nichts kannst du, nichts wird aus dir

Niemand wird dich heiraten 

Pflegte Vater mir früher zu sagen

Jetzt sagt Vater zu mir

Was kannst du, kannst du überhaupt etwas“

Maria-Maria sinniert hoch philosophisch über das Leben ihres Vaters mit Partei und Geliebten, hinterfragt die Wirkung dessen auf die Mutter und sich selbst. Zudem setzt sie sich mit dem Entfallen des Systems und der plötzlichen Bedeutungslosigkeit des Vaters für die Gesellschaft auseinander.

Für mich hat Carmen-Francesca Banciu das linientreue, sozialistische Leben mit seiner besonderen Leistungsorientierung sehr gut eingefangen. Die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs einhergehenden Ängste und Verluste stellt sie angemessen dar ohne zu glorifizieren. Dabei bringt sie auf den Punkt, was selten gewürdigt, vermutlich nicht einmal wahrgenommen wurde. Die Lebenswahrheit der Menschen war quasi über Nacht eine Neue.

Ich empfehle das Buch allen, die sich wirklich ein wenig mit sozialistischer Vergangenheit auseinandersetzen möchten, und bereit sind, sowohl auf Fließtext als auch fast ganz auf Satzzeichen zu verzichten.