Rezension

Wien anno 1918

Schönbrunner Finale - Gerhard Loibelsberger

Schönbrunner Finale
von Gerhard Loibelsberger

Bewertet mit 5 Sternen

„...Nechybas Magen brummte. Er sah verzweifelt auf seinen immer kleiner werdenden Bauch, seufzte voll Resignation, griff zum Löffel und begann mit Todesverachtung die Bohnen mit Paradeis in sich hineinzuschaufeln...“

 

Wir schreiben das Jahr 1918. Seit vier Jahren tobt der Krieg in Europa. Goldblatt, Journalist im Kriegspressequartier, und Oberinspector Nechyba treffen sich im Cafè Sperl. Gesprächsthema ist die letzte Pressemitteilung des amerikanischen Präsidenten. Sie enthält brisanten Zündstoff, denn seine Umsetzung wäre das Ende des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn.

Doch auf Nechyba kommt ein ganz anders Problem zu. Sein Frau Aurelia möchte, dass er sich persönlich um die Aufklärung des Mordes an den Planetenverkäufer Stanislaus Gotthelf kümmert. Und was Aurelia will kann er nicht ignorieren.

Der Autor hat einen spannenden historischen Krimi geschrieben. Zwar ist mir der Herr Oberinspector Nechyba schon aus anderen Bänden bekannt, aber das Buch ließe sich auch ohne diese Kenntnisse lesen, denn Veränderungen und Neuerungen mag er eher nicht, wie das folgende Zitat zeigt:

 

„...Wenn er irgendetwas in der Welt ändern könnte, dann würde er zuerst das Telefon abschaffen. Diese Telefonie war eine Krankheit, die sich immer weiter ausbreitete...“

 

Wohlgemerkt, wir schreiben das Jahr 1918!

Der Schriftstil ist den Zeitverhältnissen angepasst. Typisch Wienerische Begriffe werden in Fußnoten sofort erläutert. Die Gespräche finden zumeist im Wiener Dialekt statt.

Sehr detailliert wird die Lage in Österreich im vierten Kriegsjahr dargestellt. Die wirtschaftliche Situation ist katastrophal .Zunehmende Streiks der Arbeiter sind verständlich, denn die Dinge, die es auf Lebensmittelmarken gibt, werden aber weniger. Hinzu kommt, dass in die Stadt immer wieder Deserteure von der Front kommen. Beispielgebend dafür sind Husak und Zach. Während Husak davon träumt, bald in sein geliebtes Prag zurückkehren zu können und die erste Schwarzarbeit annimmt, die ihm angeboten wird, dominiert bei Zach die Wut auf das Kaiserreich. Er gleitet schnell ins kriminelle Milieu ab. Hunger und Not lassen schnell die Moral sinken.

Selbst Nechyba muss auf seinen geliebten Bohnenkaffee verzichtet. Der ist nicht einmal für viel Geld und gute Worte zu bekommen. Nicht begeistert ist er, als ihm Aurelia das erste Mal notgedrungen ein vegetarisches Gericht vorsetzt, wie das Eingangszitat zeigt. Doch Nechyba wäre nicht Nechyba, wenn ihm nichts einfallen würde. Der Wunsch von Schmerda, Aurelias Dienstherren, könnte auch für ihn positive Auswirkungen haben. Und für viel Geld und ein „wenig“ gute Worte findet der Schleichhändler Kaminsky jedes Fleischstück, das gewünscht wird.

Als besonderes Stilmittel beginnt jeder der vier Teile mit einem Zitat aus der damaligen Zeit. Auch im eigentlichen Handlungsablauf werden wiederholt Zeitungsartikel wiedergegeben. Dadurch erhalte ich einen Einblick in die politische Lage, die zum Ende der österreichischen Monarchie führen wird.

Allerdings wird auch deutlich, dass die einzelnen politischen Kräfte zwar alle auf ein Abdanken des Kaisers hinarbeiten, aber mit unterschiedlicher Einstellung. Die reicht von moderat bis radikal.

Trotz erster Erfolge im Kampf gegen die Streiks bringt Nechyba die Lage exakt auf den Punkt:

 

„...Wenn sich die allgemeine Verpflegungssituation nicht bessert, sehe ich schwarz...Weil ein knurrender Magen ist wie ein bissiger Hund...“

 

Zu den besonderen Feinheiten des Schriftstils gehören die abwechslungsreichen Gespräche, die häufig einen Einblick in den Charakter und die Ansichten der Protagonisten geben.

Ein ausführliches Glossar der Wiener Ausdrücke und ein Quellenverzeichnis ergänzen das Buch.

Die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.