Rezension

Wild und kostbar!

Dein eines, wildes, kostbares Leben - Jessi Kirby

Dein eines, wildes, kostbares Leben
von Jessi Kirby

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Sag mir, was hast du vor mit deinem einen, wilden und kostbaren Leben?“ Diese Frage stellt Englischlehrer Mr. Kinney seiner Abschlussklasse als letzte Aufgabe. Ihre Überlegungen sollen die Schüler in einem Tagebuch notieren, das anschließend eingesammelt und für zehn Jahre gelagert wird. Kurz darauf, in der Nacht des Abschlussballs, verschwinden Julianna und Shane, das Vorzeigepaar der Schule.

Ein Jahrzehnt später soll die 17jährige Parker die Notizbücher sichten und an ihre Eigentümer versenden. Dabei stößt sie unerwarteter Weise auch auf Juliannas Buch. Auf seltsame Weise fühlt Parker sich dem Mädchen verbunden, denn sie soll ein Stipendium erhalten, das zu Ehren des verschwundenen Pärchens eingerichtet wurde und ihr ein Medizinstudium ermöglichen wird. Begierig liest sie die Tagebucheinträge und beginnt, über ihre eigene Zukunft nachzudenken: Bislang sah sie sich als Studentin in Stanford, doch hält das Leben nicht vielleicht doch mehr für sie bereit?    

Jessi Kirbys Roman beschreibt in einfühlsamer Weise die Entwicklung eines jungen Mädchens vom unterwürfigen „Entlein“ hin zum selbstbewussten „Schwan“. Auf manche mag Parker zu Beginn fast unerträglich demütig wirken, ihre Beziehung zur dominant- herrschenden, allein erziehenden Mutter bestimmt nicht nur Parkers Alltag, sondern auch ihre beruflichen Planungen, denn für sie steht nicht zur Debatte, dass sie nach Stanford gehen wird, um Medizin zu studieren.

Als quirligen Gegenpol führt die Autorin Parkers beste Freundin Kat ein. Die beiden Mädchen ergänzen einander insofern sehr gut, als dass Kat Parker dazu antreibt, ihre Komfortzone Stück für Stück zu verlassen, sich zusehends der Mutter zu widersetzen und auch mal fünfe gerade sein zu lassen. Jedoch: So sehr sie sich ergänzen, bilden sie trotz allem einen starken Gegensatz: Parker nimmt hierbei die Rolle der braven Musterschülerin, Kat die unberechenbare Schwänzerin ein. Während die Zukunft der einen vorbestimmt ist, scheint die andere in den Tag hinein zu leben. Wie zu erwarten war, nähern sich diese beiden Extreme im Laufe des Romans auf sanfte Weise an, um zu einem für beide angenehmen Mittelweg zu werden.

Als dritter, wichtiger Charakter ist zuletzt noch Julianna zu erwähnen, die in Form von Tagebucheinträgen zu Wort kommt und Parker so durch ihre eigenen, aufgeschriebenen  Erfahrungen und Gedanken auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden begleitet.  

Der Roman lässt sich sehr gut und flüssig lesen- besonders positiv hervorzuheben sind die bereits erwähnten Tagebucheinträge, die den Text durchbrechen und angenehm unterstützen.

Parkers und Juliannas Geschichte hat mich sehr schnell in ihren Bann gezogen und spiegelt sicher ein Gefühl wieder, dass viele junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenwerden kennen dürften: Wie viel Vernunft, wie viel Bauchgefühl darf ich einbringen, wenn es um Entscheidungen geht, die meine Zukunft betreffen? Unweigerlich fühlt man sich als Leser- jedenfalls ging es mir so- dazu animiert, sein eigenes Leben unter die Lupe zu nehmen und sich zu fragen: Was habe ich bislang gemacht, aus meinem einen, wilden und kostbaren Leben?

Deshalb: unbedingt lesen!