Rezension

Wild Wild West in New Jersey

Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück - Amy Stewart

Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück
von Amy Stewart

Bewertet mit 3 Sternen

Die Welt am Beginn der Moderne jäh unterbrochen durch den Großen Krieg. Während sich in Europa um 1915 die Soldaten millionenfach abschlachteten, hatten die USA noch gut zwei Jahre Gnadenfrist, bevor sie in den Ersten Weltkrieg eintraten. Amy Stewarts historischer Krimi spielt 1915 in New Jersey und es stellt sich unverzüglich ein Wild-West-Gefühl ein, welches offensichtlich die Wörter Sheriff und Deputy bei mir triggern. Ich habe anfänglich etwas zu tun, mir die richtige Zeit vorzustellen und hänge zwischendurch immer mal wieder ein paar Jahrzehnte zurück. Frauen haben 1915 in den Vereinigten Staaten noch nicht all zu viel zu melden, aber immerhin scheint sich allmählich eine Veränderung einzustellen und daran nicht ganz unbeteiligt: Constance Kopp. Sie steht kurz davor der erste weibliche Deputy von New Jersey zu werden und ausgerechnet ihr passiert der Fehler, dass ein Krimineller aus der Gefangenschaft von Sheriff Heath entkommen konnte. Sollte Matthesius nicht bald wieder hinter Schloss und Riegel sitzen, müsste der Sheriff seinen Zellenplatz übernehmen und für Constance wäre es dann endgültig vorbei mit der Karriere bei der Polizei. Also zieht sie auf eigene Faust los und versucht ihren Fehler wieder auszubügeln.

Es ist ein spannender Kontrast den Amy Stewart da für uns Leser aufmacht und zwar in vielerlei Hinsicht. Constance lebt mit ihren Schwestern Norma und Fleurette etwas außerhalb vom Hauptschauplatz Hackensack, New Jersey. Fleurette ist wesentlich jünger als ihre Schwestern und Ich-Erzählerin Constance deutet an, dass sie ihre Tochter ist und Fleurette selbst nichts davon ahnt. Während die Moderne längst Einzug gehalten hat z.B. mit den Automobilen, die allmählich den Kutschen ordentlich den Rang ablaufen und den Straßenverkehr für Mensch und Tier wesentlich gefährlicher gestalten, kann sich Constances Familie kein Auto leisten. Damit sind die Wege zwischen Bett und Arbeit wesentlich beschwerlicher für Constance und schon hat sich bei mir wieder das Wild-West-Gefühl eingestellt. Dabei ist die Metropole New York und mit ihr das Elend der armen Einwanderer aus Europa nicht weit. Stewart beschreibt während Constances Verbrecherjagd den Schmelztiegel Amerika äußerst eindrucksvoll. Die Elendsviertel der großen Stadt, die reichen Quartiere, Hotels nur für Frauen – zu ihrem Schutz natürlich, die überkommenen Vorstellungen von Familie und Tugend des vergangenen 19. Jahrhunderts, die sehr wohl noch fest in den Köpfen der Menschen stecken und gegen die ein immer größer werdender Teil der Frauen aufbegehrt. Die historischen Komponenten des Romans sind für mich nahezu spannender als die Jagd von Constance nach dem entflohenen Sträfling. Es ist ein passender leicht antiquiert wirkender Erzählton und eine Frauenfigur im Zentrum, die zwischen Unsicherheit und Selbstüberschätzung absolut sympathisch hin und her schwankt. Ebenso spannend die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Stewart zwischen ihren Figuren andeutet und die viel Raum für Interpretationen, Spekulationen und Romanfortsetzungen lässt. Ein absolut unterhaltsames Abenteuer im Wilden Westen von New Jersey.