Rezension

Wildes Leben, traurige Kindheit

Darling Days - iO Tillett Wright

Darling Days
von Io Tillett Wright

Bewertet mit 4 Sternen

In "Darling Days" beschreibt iO Tillet Wright ihre chaotische Kindheit in News Yorks heruntergekommensten Virteln. Sie analysiert die Beziehung zu ihrer unangepassten und freiheitsliebenden Mutter, die sie alleine aufzog und in der Hass und Liebe ganz dicht beieinanderliegen. IO merkt zudem früh, dass sie kein Mädchen sein will und beschreibt die Ängste und die Ausgrenzung die damit verbunden ist nicht in die Norm zu passen. Das ist teilweise harter Tobak aber auch erstaunlich mitreißend wenn man einmal in iOs Welt hineingefunden hat.

 „Mische einen Teil Einhorn, drei Teile Gewittersturm, zwei Teile verwundeter Kampfstier, dann hast du so ungefähr den Vibe, der meine Mutter umgab.“ Seite 22

An iOs Sprache musste ich mich ein bisschen gewöhnen, aber der flapsige, dreckige, wütende Ton und die schnelle Erzählweise passten einfach perfekt zum Inhalt. Es wurde mir zwar hin und wieder zu pathetisch* oder es fehlte mit der Überblick über die umfangreichen Nebencharaktere aber einmal im Lesefluss kommt das kaum zum tragen. IO zieht den Leser nämlich in eine andere Welt, die mit den sonderbarsten Menschen bevölkert ist. Ein Trupp von Aussteigern, Verlierern, Sonderlingen und Exzentrikern unter denen iO und ihre Mutter etwas Halt und viel Hilfsbereitschaft finden.

Das New York der 80er und 90er Jahre ist lebendig beschrieben. IO führt den Leser in versiffte Wohnungen, durch New Yorks Straßen, auf Feuerleitern und Dächer. Und natürlich durch ihr bewegtes Leben. Das Ende dieser Reise finde ich generell gut gewählt. Ein Neustart in allen Bereichen. Es ist nur etwas seltsam, dass iO sich dort am Ende als lesbische Frau definiert, im Autorenportrait (buchstäblich auf der nächsten Seite) aber als „der Autor“ und „er" beschrieben wird. Im Bezug auf die Geschichte die man gerade gelesen hat ist das zwar vollkommen verständlich, aber ein kleines Update, wie es nun zu dieser Wahl gekommen ist, hätte ich sinnvoll gefunden. Ich habe hier jeweils die weibliche Form benutzt, weil diese mE auch im Buch hauptsächlich verwendet wurde.

Ein wenig gestört hat mich die Beschreibung des Dorgenkonsums generell. IO nimmt es ihren Eltern sehr übel, dass sie bestimmte Drogen nehmen und bemerkt die negativen Veränderungen, die der Konsum mit sich bringt. Die heftigsten Probleme ihrer Eltern rühren vom Drogenmissbrauch her und das weiß iO auch. Als Jugendliche fängt sie dann selbst massiv an diverse Mittel zu konsumieren. Es macht aber den Eindruck, dass das bei ihr ok geht und kaum negative Auswirkungen hat. Auf sich selbst bezogen scheint sie die Gefahr zu ignorieren oder zu tolerieren. Hier wurde meiner Meinung nach mit zweierlei Maß gemessen und gerade mit Blick auf jüngere Leser hätte ich mir mehr Reflektion auch über ihr eigenes Konsumverhalten gewünscht.

"Darling Days" ist ein wilder, praller Bericht der abwechselnd traurig, betroffen und wütend macht, aber auf interessante und unterhaltsame Weise Einblick in ein vollkommen anderes Leben gibt. IO schildert ihre Erlebnisse farbenfroh auch wenn alles oft düster erscheint. Sie ist eine starke kämpferische Persönlichkeit, wenn auch nicht immer einfach. Insgesamt eine gelungene Romanbiografie übers Erwachsenwerden, Transgender-identität, alternative Lebensentwürfe und eine sehr sehr zwiespältige Mutter-Kind-Beziehung.

 

* „Die beiden großen Frauen in meinem Leben kämpfen mit dem Verhängnis.“ Seite 424 oder „Als sich unsere Lippen berühren, strömt Lava durch meine Adern.“ Seite 434