Rezension

Wir gegen die anderen

Milchmann - Anna Burns

Milchmann
von Anna Burns

Bewertet mit 1 Sternen

Die 18jährige im Mittelpunkt des Romans  “Milchmann“ von Anna Burns hat keinen Namen wie die anderen Figuren dieses Romans auch – mit einer Ausnahme: Milchmann heißt wirklich so (S. 393-5). Die Protagonistin wächst als eines von zehn Geschwistern in einer katholischen Familie, wahrscheinlich in Belfast auf. Sie wird Mittelschwester genannt und trifft sich seit fast einem Jahr mit Vielleicht-Freund.  Eines Tages wird Milchmann zu ihrem Stalker. Er weiß alles über sie, kennt ihren Tagesablauf und will sie für sich, obwohl er 41 Jahre alt und verheiratet ist. Mittelschwester wird nur zweimal mit dem Mann gesehen, und schon sagt man ihr eine Affäre nach und beschimpft sie als schamloses Flittchen. In dieser Gemeinschaft verbreitet sich Klatsch blitzschnell und wird sofort für die reine Wahrheit gehalten. Ohnehin ist es in diesen Zeiten gefährlich, aufzufallen. Die junge Frau war schon vorher ins Gerede gekommen, weil sie im Gehen Literatur des 19. Jahrhunderts las, ohne sich um die überall lauernde Gefahr zu kümmern. Mit ihrem zum Selbstschutz angenommenen abgestumpften Gesichtsausdruck wird sie für arrogant gehalten, zumal sie als angebliche Geliebte von Milchmann, einem IRA-Führer, sowieso eine Sonderstellung annimmt. Die IRA-Mitglieder werden im Roman Verweigerer genannt. Mit ihnen legt man sich besser nicht an. Schon der Verdacht, ein Denunziant zu sein, kann das Todesurteil bedeuten. Die Katholiken in diesem Viertel – aus der Sicht der Protagonistin  „Wir“ -  müssen jeden Anschein vermeiden, mit den „anderen“, den Protestanten, den englischen Soldaten und jeder Art von Obrigkeit Kontakt zu haben. Werden sie Opfer einer Straftat, gehen sie nicht zur Polizei, sind sie schwer verletzt oder todkrank, wagen sie es nicht, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Die „anderen“ leben in ihrem eigenen Viertel, auf der anderen Seite der Straße oder auf der anderen Seite der See, d.h. in England. 

Was hat das alles zu bedeuten? In Nordirland herrscht seit Jahren eine Art Bürgerkrieg, der insgesamt 30 Jahre dauern und mehr als 3500 Opfer fordern wird. Im Roman hat fast jede Familie schon Opfer zu beklagen. Die Bombenanschläge der IRA und die Massaker der anderen paramilitärischen Gruppen sowie die Vergeltungsschläge der englischen Armee gehen durch die Weltpresse. In diesem Konflikt geht es nicht um Religion, sondern um politische Ziele. Am Beispiel von Mittelschwester lässt sich sehr gut erkennen, was es bedeutete, in solchen Zeiten an diesem Ort aufzuwachsen. Angst und Misstrauen bestimmen das Leben der Menschen.  Leider ist das Buch nur verständlich, wenn man schon vorher über den Nordirlandkonflikt Bescheid weiß. Hinzukommt, dass der Roman auch sprachlich wegen des kreativen Umgangs der Übersetzerin mit der deutschen Sprache harte Kost ist. Bandwurmsätze, weitgehend fehlende Absätze und eine Gliederung in nur sieben Kapitel machen die Lektüre mühsam. Das Wenige, das passiert, wird in unerträglicher Breite erzählt. Mir hat dieser Roman nicht gefallen.