Rezension

Wirklich eine Entdeckung

Menschen neben dem Leben - Ulrich Alexander Boschwitz

Menschen neben dem Leben
von Ulrich Alexander Boschwitz

Bewertet mit 4 Sternen

Ulrich Alexander Boschwitz hat einen Roman geschrieben über die Menschen, die Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ganz unten angekommen sind. Es geht um Bettler, Arbeitslose, Prostituierte, Zuhälter und Menschen, die ein Trauma vom letzten Krieg davon getragen haben. Wir lernen also die „Goldenen 20er Jahre“ einmal aus einer anderen Perspektive kennen.

Die Bücher des Autors werden als DIE Wiederentdeckung angepriesen. Bei dieser Ankündigung war ich sehr skeptisch. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, dass solche Bücher oft vom Thema her interessant, aber nur bedingt zu lesen sind. Oft ist der Stil hölzern und die Schilderungen sind langweilig. Doch nicht bei Ulrich Alexander Boschwitz. Der Autor konnte wirklich gut schreiben.

Seine Schilderungen wirken realitätsnah, so wie ich mir die damalige Zeit vorstelle. Seine Figuren sind so eindrücklich geschildert, dass ich mich ihnen verbunden fühle bzw. mit ihnen fühle. Der Autor analysiert Probleme der damaligen Zeit sehr scharfsinnig. Er erzählt von den Zusammenhängen der zunehmenden Automatisierung und der steigenden Arbeitslosigkeit, verbunden mit der sinkenden Kaufkraft. Er schildert, wie das Misstrauen allem Fremden gegenüber wächst, wenn man selber entweder nichts mehr hat oder befürchtet, seinen Lebensstandard nicht halten zu können. Zudem wird sehr eindrücklich geschildert, wie moralische Schranken fallen, wenn man von der Hand in den Mund lebt. Da fallen mir direkt die Parallelen zur heutigen Zeit auf.

Das Buch und der Autor sind wirklich eine Entdeckung und wer weiß, was er noch erreicht hätte, wenn er nicht viel zu früh gestorben wäre. Während des Lesens ist mir wiederholt in den Sinn gekommen, dass sich dieses Buch sehr gut als Schullektüre eignen würde. Bei vielen Sätzen lohnt es, sich tiefer damit auseinanderzusetzen. Und oft laden ganze Passagen zum Analysieren ein. Zudem beschreibt der Autor sehr gut die zunehmende Verrohung und Feindseligkeit in der Gesellschaft gegenüber anderen, fremden Menschen. Das Buch wurde erstmals 1937 in Schweden veröffentlicht. Aus heutiger Perspektive bewundere ich die Hellsichtigkeit des Autors, wohin das alles führen kann.

Das Buch ist für mich ein Roman, den es zu lesen lohnt, ja, den man vielleicht sogar gelesen haben sollte.