Rezension

Wirklich nur eine Pilgerreise?

Die Macht der fünf Tugenden - Irene Euler

Die Macht der fünf Tugenden
von Irene Euler

Ob hier nicht sogar mehr zwischen den Zeilen steht als darin? Fesseln bis zur letzten Seite und sogar darüber hinaus! Absolut empfehlenswert. (;

Mich haben ja die Symbole der Tugenden auf dem Cover sofort neugierig gemacht. So viele Ideale gibt es, die man am besten alle zugleich verkörpern sollte, sodass ich es total spannend fand, herauszufinden, welche Tugenden die Autorin hier ausgewählt hat und inwieweit die Auswahl jener auch im Buch begründet wird. Und eins kann ich nach dem Lesen sagen: enttäuscht wurden meine hohen Erwartungen nicht! (;

Doch zuerst zum Cover. Ich finde, dass durch die Symbole und die Umrandung gleich die Erwartung geweckt wird, dassman es hier mit einem Kult oder dergleichen zu tun haben wird. Blickt man dann noch auf die verschiedenen Gelbtöne, die Sandberge im Hintergund und die wüstenähnliche Landschaft, ist schnell klar, dass man sich hier nicht mehr innerhalb Europas befindet, sondern eher in Gegenden, die z.B. an den Orient oder auch die Savannen Afrikas erinnern.

Schon auf der ersten Seite des Buches ist darum eine sehr anschaulich illustrierte Karte zu finden, die dem Leser hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Auch ist Myans Weg, den sie im Laufe der Geschichte gehen wird, eingezeichnet. Räumliche Orientierung ist also zu keiner Zeit ein Problem. (:

Zu Beginn des Buches steht Myan mit dem ihr zugeteilten Bruder Quint vor der Prüfung zum Adepten. Nie hätten beide geglaubt, dass diese so bald schon in den Hintergrund rücken würde, doch als sie ausgewählt werden, sich gemeinsam mit anderen Priesterpärchen auf eine Pilgerreise zur Stärkung des Schutzes ihrer Stadt zu begeben, zögern sie keine Sekunde. Myan, die seit des Eintritts in den Orden des Zorant schon mit der Einhaltung der Tugenden zu kämpfen hat, ist tief beeindruckt von Quints Gelassenheit und strebt danach, so mustergültig zu werdenwie er. Das Respekt und Annerkennung nicht das einzige ist, was sie für ihn empfindet, versucht sie dabei gekonnt auszublenden... Aber wie lange kann ein Mensch gegen sich selbst ankämpfen? Wird ihre Reise wirklich so verlaufen, wie geplant? 

Natürlich ist dies nicht der Fall. (; Ich war immer wieder überrascht, wie spannend eine doch recht öde klingende Pilgerreise beschrieben werden kann. Nicht nur die einzelnen Herausforderungen, sondern auch die Reaktionen der anderen Reisenden, die Vereinbarkeit von Glauben und realer Umsetzbarkeit sowie das Verhalten untereinander gab so viel mehr über die Gesamtsituation preis, als ich je für möglich gehalten hätte.

Myan ist für mich hier nicht nur ein junges Mädchen, sondern ein innerlich zerissener Mensch. Sie möchte es immer allen recht machen und orientiert sich lieber an den Maßstäben anderer, als sich selbst zu verwirklichen. Ganz im Gegensatz dazu hat Quint längst solchen fremden Institutionen abgeschworen und will nichts, außer frei nach seinem Willen zu leben. Doch wie ehrlich sind beide sich selbst gegenüber? Sind sie wirklich so, wie sie es andere glauben lassen? 

Gerade durch den Schreibstil der Autorin sind für mich all solche Gegensätze besonders gut zum Ausdruck gekommen. Das Handeln mancher Figuren war alles andere als tugendhaft und doch wurde es von anderen nicht angeprangert. Auch hinterfragt man so viel eher die Vorgehensweisen, das Verhalten und die Gedanken Myans aber auch des Ordens allgemein. Flüssig geschriebene, logische sowie gut verknüpfte Sätze sind dafür verantwortlich, dass ein Textgelecht entsteht, aus welchem man sich nicht so leicht wieder befreien kann. (; Die Seiten fliegen nur so dahin und selbst die Beschreibungen las ich persönlich überraschend gern. 

Darum kann ich eigentlich gar nicht anders, als dieses Buch mit 4,5 von 5 Sternen zu bewerten. (: Lasst euch nicht von einer vermeindlich langweiligen Pilgerreise abschrecken, sondern lasst euch gerade deswegen auf diese spannende Geschichte ein,  die vor allem zwischen den Zeilen so viel mehr zu offenbaren scheint, als ich je für möglich gehalten hätte...