Rezension

Wissen, wann man aufhören muss

Eine Geschichte der Wölfe
von Emily Fridlund

Bewertet mit 3 Sternen

Linda ist eine Außenseiterin. In der Schule wird sie gehänselt oder einfach ignoriert. Bei ihr zu Hause geht es wenig liebevoll zu. Ihr Heim ist nicht mehr als eine Hütte im Wald. Und so ist die 14-jährige nur allzu empfänglich für den Zauber der neuen Nachbarn am gegenüberliegenden Seeufer: Ihr Häuschen ist hell, gemütlich und warm. Die junge Mutter Patra könnte nicht liebevoller mit ihren vierjährigen Sohn Paul umgehen. Linda kommt dieser traumhaften Familie als Babysitterin näher. Aber irgendetwas - das spürt Linda selbst durch ihre rosarote Brille - ist seltsam.

Dieser Roman hätte nach zwei Dritteln mit einem Satz wie "Einen Tag später, am 21. Juni, starb X* an einem Hirnödem." aufhören können. Das hätte einen Wow-Effekt gehabt. Das hätte berührt und wäre im Kopf geblieben. Stattdessen erzählt Friedlund einfach immer weiter und weiter. Erzählt Detail um Detail von Lindas letzter Begegnung mit dem Gardners. Erzählt aus ihrem späteren Leben, erzählt von Lily und ihrem Geschichtslehrer. Aber all das führt zu nichts. Der Leser weiß bereits alles wichtige und die paar Details, die wir noch erfahren hätte man auch anders unterbringen können. Es ist zwar weiterhin bedrohlich stimmungsvoll aber vollkommen redundant! Ich habe gegen Ende den Text teils nur noch überflogen weil einfach nichts mehr kam was Sinn gemacht hätte. Warum nicht einfach mit dem Eindrücklichsten enden?

Dabei ist Lindas Isolation und Einsamkeit sehr treffend beschrieben ohne jemals plakativ zu sein. Man spürt es mehr, als dass Friedlund es ausspricht. Auch Patras Charakter ist gelungen. Ihre Zweifel und Angst, die sie sich nicht eingestehen darf und will. Die Abhängigkeit von ihrem Mann. Die aufgesetzte Lockerheit. Und das meiste davon steht zwischen dem Zeilen. Großartig! Auch die Naturbeschreibungen und die bereits erwähnte bedrohliche Stimmung. Das war klasse. Aber wenn ich nichts mehr zu erzählen habe, sollte ich aufhören.

Die Geschichte um Lily und den Geschichtslehrer hätte man sich eigentlich sparen können. Ebenso die Episoden aus Lindas Zukunft. Ihr Charakter entwickelt sich nämlich keineswegs. Sie benimmt sich noch immer genau wie mit 14. Und warum eigentlich Linda wenn sie doch eigemtlich Madeline heißt?

Insgesamt ist "Eine Geschichte der Wölfe" eine bedrückende Geschichte um Schuld, Sehnsucht und Verantwortung. Leider erzählt Friedlund zu viel, verliert sich in Details und zerlegt so alles Mitgefühl  wieder, das sie beim Leser aufgebaut hatte. Schade.

*Man erfährt schon auf Seite 2 dass jemand stirbt und wer. Es sollte also kein Spoiler sein aber zur Sicherheit hab ich es mal verfremdet.